Dine Petrik auf einer Aufnahme aus 2008. Ihr neuer Roman "Flucht aus der Nacht" spielt in Wien.

Foto: Heribert Corn

Wien - Die Verweise auf James Joyce' Ulysses sowie auf Fjodor M. Dostojewskis Verbrechen und Strafe sind kein Zufall: In ihrem Roman Flucht vor der Nacht legt Dine Petrik die Abgründe einer vom Gewissen geplagten Seele frei, indem sie den Leser mit den Bewusstseinsströmen eines alternden Künstlers konfrontiert.

Das Buch kreist dabei um die Frage nach der Mitschuld am Unglück anderer, malt allerdings die Szenarien nicht genauer aus. Der Leser erahnt meist nur, was vorgefallen sein könnte: ein Ehebruch, eine erzwungene Abtreibung, ein sexueller Übergriff ...

Diese Vagheit ist eine Stärke des Buchs. Aus den Leerstellen erwächst die Spannung, mit der man den Schicksalen folgt. Zwar ist der stenografische Stil, bei dem die Sätze oft ohne Verben bleiben, sperrig. Hat man sich aber einmal an die zuerst stockende, dann jäh lospreschende Privatsprache des Wiener Malers gewöhnt, tun sich dem Leser nach und nach die Gründe für dessen Zerrüttung auf.

Zu Beginn eine Andeutung: "Damals, dieser Schnitt. Dieser Stich ins Herz... Olivias Tod. Dieses Stechen, Toben in ihm... Diese totale Erschöpfung." Wer Olivia war, erfährt man zunächst noch nicht. Wohl aber, dass sich der berühmte Maler Ben Bogathy Schuld an ihrem Tod zu geben scheint: "Es kam nicht direkt auf ihn zu, es lauerte an der Ecke, es kam in den Träumen, es stand beim Rasieren im Spiegel: Schuldig! Sekundenlang wie ein Lähmung: In seinem Kopf dieses Klack!"

Auf "dieses Klack" wird man während der Lektüre noch öfter stoßen. Genauso wie man auf vier Frauen trifft, deren Schicksale mit dem des Künstlers verwoben sind. Sich wieder der Form des inneren Monologs bedienend, entfaltet die Autorin nun deren Bewusstseinsräume. Leider gelingt es ihr dabei nicht, die unterschiedlichen Motive der Frauen auch in jeweils andere Sprachformen zu kleiden.

Abermals vernimmt man jenen abgehackten Ton, den man bereits von Ben her kannte und der sich bei der um ihr Kind betrogenen Margarete wie folgt anhört: "Ende zehnte, eher elfte Woche! Panik. Ein Schlag ins Gesicht, in den Magen. Angst und Panik. Eine Woche Zuwarten, schließlich das Telefonat. Er war sofort da. 'Ausgeschlossen! Niemals! Niemals!'"

Entbehrliche Wienreklame

Flucht vor der Nacht ist jedoch nicht nur das fesselnde Psychogramm eines Malers, sondern auch ein Buch über Wien. Wiederholt rühmen Olivia und Margarete die Museen, Plätze und Berge der Bundeshauptstadt. Schade ist nur, dass selbst hier die Autorin nicht von jenem Telegrammstil ablässt, der das gesamte Buch durchzieht. Was eine Hymne auf die Stadt sein könnte, liest sich dann wie ein Reiseführer, der in plakativen Termen ihre Sehenswürdigkeiten preist. "Sich Wien ergehen bis ins Innere", sagt Margarete an einer Stelle. Indem man die Dinge wie wild mit Namen beschießt, erschließt sich aber noch nicht einmal deren Oberfläche. (Franz Schörkhuber, 16.6.2015)