Das noch nicht fertiggestellte Baugruppenprojekt Seestern in einem Rendering des Architekturbüros einszueins: Alle 28 Wohneinheiten wurden hier unter den Gruppenmitgliedern aufgeteilt.

Visualisierung: einszueins architektur

Die Wohnanlage Pegasus in der Seestadt Aspern: Fünf Familien bildeten den Kern der Baugruppe. Neben 27 Wohnungen enthält das Haus auch ein kleines Apartment-Hotel.

Foto: Pegasus

Eine Stadt wird geboren: Langsam schiebt sich die Frontlinie aus Staub, Kränen und Lärm in Aspern südwestwärts, hinter ihr blitzt hier und da ordentlich gefegtes Pflaster auf und künden blumentopfgesäumte Innenhöfe davon, dass hier schon gewohnt wird. Direkt an der Frontlinie: das Baufeld D13, das sich die fünf Baugruppen der Seestadt teilen. Zwei sind schon bezogen, bei zwei weiteren ist der letzte Schliff praktisch getan, im Rohbau-Erdgeschoß der Baugruppe LiSA steht noch der Grillhenderlwagen, der die Bauarbeiter in der Mittagshitze mit etwas noch Heißerem versorgt.

Wenige Meter daneben steht Karl Heinz Slabschi im Gemeinschaftsraum der Baugruppe Pegasus, blickt bürgermeisterhaft stolz hinaus auf die Gemeinschaftsterrasse und verkündet zufrieden das Selbstverständnis des gemeinschaftlichen Hausbewohnens: "Die Baugruppen sind Oasen in der Seestadt, wir machen die Stadt lebendig. Hier sind schnelle, gemeinsame Aktionen möglich, weil wir untereinander gut vernetzt sind und uns alle kennen." Slabschi gehörte 2011 zu den fünf Familien, die den Kern der heutigen Baugruppe bildeten. Unterstützt von Architekt Georg Baldass entwickelte man das gemeinsame Projekt, heute umfasst das fertige Haus 27 Wohneinheiten mit 50 bis 110 Quadratmetern und das von Karl-Heinz Slabschi geführte kleine Apartment-Hotel.

Lustig, spannend und mühsam sei der Prozess gewesen, erzählt der Bewohner, der Architekt und der Bauträger stimmen ihm zu. Für eine Baugruppe zu planen, das ist oft Neuland für alle Beteiligten. Wohnen ist Verhandlungssache.

Viele Bewohnerwünsche

"Anfangs waren wir noch skeptisch, ob es überhaupt gelingt, so viel Wünsche unter einen Hut zu bringen", erinnert sich Michael Groll von der Siedlungsgenossenschaft Neunkirchen, für die Pegasus das erste Baugruppenprojekt war. "Aber wir haben enorm viel gelernt. Wenn Entscheidungen mit den Bewohnern bis ins Detail ausverhandelt werden, ist das zwar extrem zeitintensiv, aber letztendlich lohnt es sich, weil die Bewohner ihre Wünsche auch begründen müssen. Bei anderen Wohnbauten wird oft nach dem Einzug alles Mögliche bemängelt, hier nicht, denn die Bewohner haben bis zur Steckdose alles selbst entschieden. Man muss sich dann nicht mehr um jedes Gartenhüttl neu streiten, weil die Leute sich mit dem Haus identifizieren."

Auch für den Architekten ein Mehraufwand mit Bonusfunktion. "Ein solches Haus zu planen ist eine Gratwanderung zwischen Bewohner- und Bauträgerwünschen", sagt Architekt Georg Baldass. "Jeder will seine Traumwohnung, aber aus Bauträgersicht muss die Wohnung natürlich auch weitervermietbar sein. Das heißt, die ganz verrückten Grundrisse kann man sich nicht erlauben." Die Zusatzbelastung halte sich jedoch insofern im Rahmen, als 30 Prozent der Wohnungen über den Wohnservice Wien vergeben wurden. Die so hinzugekommenen Nachzügler dürfen sich ins fertige Wohnungsnest setzen, allerdings ohne mitgeplant zu haben. Mit den entsprechenden Unterschieden zwischen denen, die das Gemeinschaftliche suchen, und denen, die einfach nur möglichst ungestört wohnen wollen. Auch das ist Verhandlungssache.

Da sich die fünf Baugruppen das Seestadt-Baufeld D13 einträchtig teilen, heißt das, man muss sich nicht nur gruppenintern einig werden bei der fairen Raumverteilung, sondern auch noch untereinander bei der Nutzung des Innenhofs und der Gemeinschaftsräume. Noch dazu hat jede Gruppe ihre eigene Entstehungsgeschichte - komplexe Gruppendynamik für den Seestadt-Motor.

Bewusste Suche

Ein Stück weiter an der Baustellenfront: die Baugruppe Seestern. Ihre 28 Wohneinheiten werden Ende Juli bezogen. Ihre Architekten Katharina Bayer und Markus Zilker vom Büro einszueins architektur bringen schon Erfahrung mit Baugruppen mit: Ihr Wohnprojekt am Nordbahnhof wurde im Jänner mit dem Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Doch jede Baugruppe ist verschieden, sagt Katharina Bayer: "In der Seestadt wurde dezidiert nach Baugruppen gesucht, während es am Nordbahnhof ein normaler Bauträgerwettbewerb war."

Anders als bei den Nachbarn von Pegasus wurden bei der Gruppe Seestern alle Wohnungen von Anfang an unter den Mitgliedern des Baugruppenvereins aufgeteilt und in ausführlichen Einzel- und Gruppensitzungen mit den Architekten geplant. Ebenfalls eingebunden war Bauträger Migra, der auch nach der Übergabe Eigentümer bleibt, die Wohnungen werden vermietet mit Kaufoption ab zehn Jahren. Auf die Details der Wohnraumplanung, so die Architekten, habe der Bauträger keinen Einfluss genommen. Besonderheit im Angebot: vier sogenannte "Flex-wohnungen" mit rund 35 Quadratmetern, die in Zukunft anderen Wohnungen zugeschlagen werden können, wenn es zu biografischen Umbrüchen wie Trennung oder Pflegebedarf kommt.

Die Vermittlerrolle übernahm das Büro realitylab, es kümmerte sich um die Gruppenorganisation und die Abstimmung zwischen Bewohnern, Architekten und Bauträgern, um Konfliktmanagement und Öffentlichkeitsarbeit. Ein Modell, das sich auch in anderen Wohngruppen bewährt hat, schließlich sind die Neubewohner oft mit der eigenen Organisation zu sehr ausgelastet, um sich auch noch um rechtliche und administrative Details zu kümmern.

Coworking-Space

Der Lohn der verteilten Verhandlungen: eine reiche Ausbeute an Gemeinschaftsräumen, von der Küche bis zum Kaminzimmer mit Sauna. Im Coworking-Space werden Arbeitsplätze angeboten, man sucht noch Interessenten. Hier koordinierten sich die fünf Baugruppen untereinander.

"Wir haben nach Synergieeffekten gesucht und darauf geachtet, dass nicht jede Baugruppe denselben Raum anbietet", sagt Katharina Bayer. Bei den Nachbarn von JAspern, die 2014 als erste Baugruppe einzogen, kann etwa der "Salon JAspern" für Veranstaltungen genutzt werden, und er fungiert so als soziales Bindeglied zwischen Gruppe und Grätzel. Damit die Stadt heranwächst, wenn die Baustellenfront weitergezogen ist. (Maik Nowotny, 17.6.2015)