"Platonische Körper" gehören zu den neuesten Werken Weibels aus dem 3-D-Drucker.

Foto: Artelier Contemporary

Der Uhrturm ist in Auflösung. Das Grazer Wahrzeichen scheint drauf und dran zu sein, einfach vom Schlossberg abzuheben und sich um sich selbst drehend in ein Uhrturmpuzzle zu verwandeln.

Das Bild ist integriert in einen Leuchtkasten, der zurzeit in der Grazer Galerie Artelier Contemporary hängt. Die Zeit ist abgelaufen heißt die Arbeit Peter Weibels, die er Mitte der 1990er-Jahre schuf. In seiner aktuellen Ausstellung Scanned World ist sie eine der wenigen älteren Arbeiten des Multimediakünstlers. Doch sie passt so gut zu den neueren Arbeiten Weibels, dass man glauben könnte, sie seien alle in einem Schwung entstanden. Denn der fragmentierte Uhrturm fand fast 20 Jahre später im Dreidimensionalen seine Fortsetzung: sowohl bei den kleinen weißen Figuren, die Weibel jetzt horizontal durchschneidet und verdreht, als auch bei seinem im Raum stehenden Scanned Chair und dem Scanned Mirror - alles Arbeiten aus dem Jahr 2015. Plexiglasscheiben sorgen dafür, dass die Einzelteile eines in Scheiben geschnittenen Holzstuhls sich wieder zum Sessel zusammenfügen. Aus einem anderen Blickwinkel erinnert das Objekt aber an ein durch Störsignale verzerrtes Fernsehbild; eine Optik, die man auch von anderen Arbeiten Weibels kennt.

Bücher-Wand-Tapete

Wer die Galerie mit ihren Gewölben betritt, bemerkt eine langgestreckte Bücherwand, die nicht zufällig an den Kellerraum des Café Korb in Wien (geführt von Weibels Lebensgefährtin Susanne Widl) erinnert. Auch die Scanned Library stammt aus dem Jahr 1996 und wurde nun für die Schau eigens wieder aufgebaut: Die Bücherwand-Installation besteht aus einer schwarz-weißen Fototapete, aus der ein reales, aber zersägtes und ebenso wie der Sessel in sich verschobenes Bücherregal herauszuwachsen scheint.

Der heute 71-jährige Weibel begeistert sich nach wie vor für neue Technologien. Für die Platonischen Körper und viele andere kleinere Arbeiten der Präsentation verwendete er einen 3-D-Drucker; er holte also die Skulptur, die er einst ins Bild verbannt hatte, von den Datenträgern in den Raum zurück. Er zerteilte sie genau an den Schichtlinien des 3-D-gedruckten Objekts; so wie die Scanned Sculptures, eine Sechserbande aus weißem PLA-Kunststoff. Unter ihnen sind "Prominente" wie die Venus von Milo oder Rodins Denker – alle freilich in sich verdreht.

Ein wahrer Meister des 3-D-Druckes ist Christian Lölkes, den Weibel aus dem Zentrum für Kunst- und Medientheorie in Karlsruhe mitbrachte. Er präsentiert in der Galerie farbige 3-D-Scans für Fortgeschrittene: etwa eine Banane, die in der Mitte weich ist. Oder einen Kraken und ein Chamäleon, die bei Temperaturveränderungen die Farbe wechseln. (Colette M. Schmidt, Album, 19.6.2015)