STANDARD: Sie sagen, Österreich hat sehr ansehnliche Sozialleistungen, das ist ein Grund, dass wir auch viele Flüchtlinge und Zuwanderer anziehen.

Kurz: Wir sind als Land generell sehr interessant für Zuwanderer und Flüchtlinge. Aufgrund der sozialen Standards und der niedrigen Arbeitslosigkeit, aber auch, weil wir im Vergleich etwa zu osteuropäischen Ländern, die Flüchtlinge auch ordentlich behandeln. Jahrelang hatten wir 15.000 Asylanträge, 2014 30.000. Heuer werden 70.000 erwartet.

STANDARD: Die Statistik sagt ja, die türkische Zuwanderung hat praktisch aufgehört.

Kurz: Ja, in einigen Jahren werden wir so weit sein, dass mehr in die Türkei zurückwandern, als zu uns kommen. Das ist in Deutschland schon der Fall. Heute kommen weit über die Hälfte, fast zwei Drittel aus der EU.

derstandard.at/von usslar

STANDARD: Die Meinung des sprichwörtlichen Mannes auf der Straße ist: Die kommen nur wegen der Sozialleistungen und leben hier auf unsere Kosten. Da reden wir ja teilweise von anerkannten, asylberechtigten Personen.

Kurz: Der Ansturm hat sich massiv erhöht. Im Moment muss schleunigst das Problem der Unterbringung gelöst werden. Länder und Gemeinden tun so, als könnten sie nicht, aber es muss hier gemeinsam an einem Strang gezogen werden, damit die Zelte verschwinden. Darüber hinaus gibt es ein Vorgehen gegen die Schlepper.

STANDARD: Schlepper militärisch bekämpfen? Flüchtlingsboote versenken?

Kurz: Hier geht's um eine Präsenz im Mittelmeer. Die EU war schon erfolgreich gegen die Piraterie am Horn von Afrika. Schlepper sind Kriminelle.

STANDARD: Vor 20 Jahren haben wir 90.000 Bosnier über ganz Österreich verteilt. Ohne Probleme.

Kurz: Die Situation ist heute anders. Der Krieg war in unmittelbarer Nachbarschaft. Das ist ein ganz anderes Bewusstsein in der Bevölkerung. Wir erleben auch sehr viel Hilfsbereitschaft. Es werden Quartiere angeboten. Wenn man nachfragt heißt es, wir nehmen gern eine Familie, und wenn sie christlich ist, wär's gut. Die Realität ist: Die Masse der Flüchtlinge sind junge Männer, sehr viele muslimisch, von der Hautfarbe schwarz. Da gibt es vor Ort viel mehr Widerstand.

STANDARD: Kommen wir zu den Personen mit sogenanntem Migrationshintergrund. Das sind 1,6 Millionen, davon rund 570.000 Muslime. Was sagen Sie zu den Personen, die gehäuft auftreten und sagen, ich fühle mich hier nicht mehr zu Hause, fühle mich überfremdet?

Kurz: Man muss mit dem Wort "gehäuft" vorsichtig sein. Das Thema gibt's schon sehr lange. Ich würde unterscheiden zwischen der Flüchtlingskatastrophe, bei der es zu handeln gilt und wo wir besser werden müssen, und der Frage der Migranten in Österreich.

STANDARD: Die hat aber auch politische Relevanz, siehe Wahlerfolge der FPÖ.

Kurz: Da gilt für mich, dass wir ganz klar unseren Weg der Integration weitergehen. Was wir wissen müssen, ist, dass diese Menschen allesamt unser Land nicht mehr verlassen werden. Die Hetze gegen Zuwanderer, die schon rechtmäßig hier leben, oft in zweiter oder dritter Generation, die wird uns nicht weiterbringen. Die Aufregung über den jungen Burschen, der in der U-Bahn jemanden attackiert hat oder unfreundlich war, wo es heißt, "der Türke hat", und dann kommt man drauf, wenn man genauer hinsieht: Der "Türke" ist meist in Wien-Favoriten geboren, hat einen österreichischen Pass und lebt bereits in zweiter oder dritter Generation hier.

STANDARD: Das heißt, alle diese Deportationsfantasien ...

Kurz: ... sind absolut absurd, und insofern hilft nur eins, nämlich eine positive Integrationsarbeit zu leisten. Dazu braucht es eine Zuwanderungsbevölkerung, die einen Beitrag leistet, und die Mehrheitsbevölkerung, die mit einer gewissen Offenheit Integration zulässt. Und mein Zugang ist ganz klar: Integration durch Leistung. Der Spracherwerb ist ganz entscheidend, Einsatz am Arbeitsmarkt und im ehrenamtlichen Bereich. Und es braucht auch einen gewissen Respekt für österreichische Grundwerte.

STANDARD: Sie haben gesagt, der Islam gehört zu Österreich, der Islamismus nicht. Ich bin nicht sicher, ob Ihnen da eine Mehrheit folgen wird, aber was bedeutet das eigentlich?

Kurz: Es geht nicht darum, ob etwas populär ist oder nicht, sondern ob ich es persönlich für richtig erachte. Ich bin da ganz klar. Wir haben 570.000 Muslime. Nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich gehört hat der Islam seinen Platz in Österreich. Den Islamismus, also Jihadismus, Radikalisierung, müssen wir entschlossen bekämpfen. Unser Ziel ist, einen Islam mit europäischer Prägung zu schaffen, einen Islam im Einklang mit unseren Werten und Gesetzen. Deswegen haben wir ein Islamgesetz beschlossen, das international Aufregung verursacht hat, weil viele sagten, das ist ein relativ hartes Gesetz, aber gleichzeitig viele auch nachvollziehen konnten, dass man den Einfluss aus dem Ausland zurückzudrängen versucht.

STANDARD: Sie haben sich auch für Strafen bei Integrationsverweigerung ausgesprochen, wenn also die Eltern die Tochter nicht zum Schwimmunterricht lassen. Ist das praktikabel?

Kurz: Wenn jemand nicht angeschnallt Auto fährt, sieht der Staat nicht weg. Wenn Eltern ihre Kinder nicht in die Schule schicken, dann ist das Bildungsraub an den Kindern. Da haben wir als Republik, die Familienbeihilfe zahlt, dafür zu sorgen, dass das nicht ohne Konsequenzen bleibt. Wir können nicht alles nur den Lehrern umhängen, es braucht auch Unterstützung von den Eltern. Wenn Eltern nicht mitmachen, dann dürfen wir nicht wegsehen. Die Masse der Zuwanderer agiert Gott sei Dank nicht so und die Masse der Muslime auch nicht. Wir müssen als Republik klar Grenzen aufzeigen, wenn etwas mit unseren Gesetzen und Grundwerten nicht im Einklang ist. (Hans Rauscher, 20.6.2015)