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Mit massiver staatlicher Beihilfe soll die britische Atomkraftanlage Hinkley Point A und B um zwei weitere Reaktoren – Hinkley Point C – erweitert werden. Das Projekt ist in der EU höchst umstritten.

Foto: Reuters/Suzanne Plankett

Brüssel – Die Europäische Kommission ist im Wettbewerbsrecht und gerade bei der Beihilfenaufsicht in Europa die Institution mit dem "letzten Wort": Nur sie kann entscheiden, ob und wie viele Subventionen und in welchem Umfang unser gemeinsamer Markt (noch) aushält. Weil Kritik – gerade von den betroffenen Mitgliedstaaten und von Konkurrenten des Begünstigten – vorprogrammiert ist, wird ihr im Rahmen dieser Beurteilung von den Europäischen Gerichten ein komfortabler Ermessensspielraum zuerkannt.

Das ist sicherlich auch richtig. Allerdings ist ein Ermessen auch nicht grenzenlos – und im Falle der Entscheidung der Kommission vom vergangenen Oktober zur Genehmigung der gewaltigen Beihilfen in Höhe von umgerechnet rund 23 Mrd. Euro für das geplante Atomkraftwerk Hinkley Point C in Großbritannien gibt es einige juristisch fundierte Argumente gegen die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung. Aus diesem Grund reichen neben Österreich und Luxemburg auch eine Gruppe von deutschen kommunalen Energieversorgern, die österreichische Oekostrom AG und die deutsche Greenpeace Energy, die sich alle für die Energiewende engagieren, eine Klage gegen diese Beihilfenentscheidung beim Europäischen Gericht ein.

Kann man beispielsweise sagen, dass Atomkraft ein gemeinsames Interesse der Union ist? Wenn Mitgliedstaaten wie Österreich sich klar und deutlich als Atomkraftgegner positionieren? Kann man den Euratom-Vertrag so weit auslegen, dass man darin eine legitime Grundlage für die Förderung etablierter Atomkrafttechnologie findet? Der Euratom-Vertrag schützt nicht vor der Anwendung der beihilferechtlichen Regeln nach dem allgemeinen EU-Vertrag. Eine Energietechnologie, die in vielen der EU-Mitgliedstaaten illegal (geworden) ist, kann kein gemeinsames Interesse an ihrem weiteren Ausbau begründen.

Künstlich am Leben erhalten

Und sollte man sich nicht fragen, welchem "Marktversagen" man eigentlich entgegenwirkt? Die Technologie Atomkraft gibt es seit Jahrzehnten. Wenn sich kein Betreiber dafür findet, liegt das dann nicht daran, dass die Kosten und Risiken bekannt sind, sodass jeder Investor sich – ohne Beihilfe – schlichtweg gegen eine solche Investition entscheidet? Ist das dann nicht ein Zeichen eines durchaus funktionierenden Markts, in dem sich eben manche Geschäftsmodelle nicht durchsetzen? Sollte man diese dann tatsächlich künstlich am Leben erhalten – wo man doch andererseits gerade den aus der Künstlichkeit kommenden Energiemarkt seit Jahren verzweifelt zu liberalisieren versucht? Behindert die Entscheidung nicht gerade den notwendigen Strukturwandel und die Rettung der Unternehmen EDF und Areva?

Und überhaupt: Was ist mit den Energie- und Klimazielen der Union? Wie kann man effiziente, dezentrale, erneuerbare Energiesysteme verlangen und gleichzeitig die Existenz all jener, die darin involviert sind, bedrohen, indem man rund 3250 MW zentraler, konstant potenziell zu Nullpreisen einspeisender und somit die Märkte in ganz Europa flutender Stromerzeugungskapazität subventionieren lässt?

Erneuerbare Energien werden in Großbritannien zwar auch unter dem Instrument des "Contract for Difference" gefördert, aber zu wesentlich restriktiveren Bedingungen, mit kurzer Laufzeit der Beihilfe und mit Degressionspflicht. Dies geschieht zudem zur notwendigen Umsetzung der EU-Richtlinie zur Förderung erneuerbarer Energien von 2009, die verbindliche Ausbauziele für die erneuerbaren Energien pro Mitgliedstaat vorschreibt. Eine entsprechende Förderrichtlinie für Nuklearenergie haben wir aber nicht in Europa.

Wie kann man dann überhaupt verlangen, dass erneuerbare Energien sich am Markt behaupten, wenn man gleichzeitig die ohnehin auch mangels Internalisierung der (Umwelt-)Kosten in gewissem Maße zusätzlich bevorteilte Atomkraft komplett von jedweder Konkurrenz abschottet? Kann es richtig sein, dass die Kommission über die Beihilfengenehmigungsentscheidung – und komplett entgegen aller Energie- und Klimapolitik der Union – für einen Strommarkt aus subventioniertem Atomstrom und ebenso künstlich billiger Braunkohle sorgt? Einen Binnenmarkt ohne ein Mindestmaß an Beachtung der Ausschreibungspflichten nach dem europäischen Recht?

Grenznahe Atomkraftwerke

Allein in Anbetracht dieses Auszugs aus der langen Liste der offenen Fragen ist es nicht verwunderlich, dass neben Staaten auch Unternehmen und deutsche Stadtwerke die besagte Beihilfengenehmigungsentscheidung anfechten werden, zumal diese durch die Auswirkungen am Strommarkt auch direkt betroffen sind. Wird die Beihilfe für Hinkley Point genehmigt, dann werden auch die neuen geplanten Atomkraftwerke an Österreichs Grenzen (Temelín, Dukovany, Paks) gebaut werden. (Dörte Fouquet, DER STANDARD, 22.6.2015)