Arno Dalpra fordert psychosoziale Beratung für Gewalttäter.

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Viele Menschen zünden in Graz Kerzen für die Opfer des Amokfahrers an, gegen den eine Wegweisung ausgesprochen worden war.

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STANDARD: Wird ein Täter nach einer Wegweisung zur Aufarbeitung seiner Tat angehalten?

Dalpra: Nein, im Gewaltschutzgesetz ist psychosoziale Beratung für die Opfer vorgesehen, nicht für die Täter. Das sollte dringend geändert werden. Täter, vor allem amtsbekannte Täter, nach einer Wegweisung allein zu lassen kann brandgefährlich werden.

STANDARD: Warum ist die Täterarbeit nach einer Wegweisung so wichtig?

Dalpra: Jeder Gewalttäter befindet sich in einem Gewaltkreislauf. Unmittelbar nach der Tat kann man diesen Kreislauf am ehesten unterbrechen. Dann ist ein Mensch eher einsichtig, zu Veränderungen bereit. Allein bewältigen Täter diesen Schritt nur ganz selten. Durch die Arbeit mit dem Täter ist auch erkennbar, wie hoch sein Gefährdungspotenzial ist. Täterarbeit ist damit Prävention.

STANDARD: Können Sie diesen Gewaltkreislauf beschreiben?

Dalpra: Nach der Tat kommt das Erwachen, ausgelöst durch die Wegweisung. Durch den Polizeieinsatz wird Gewalt öffentlich. Das Schweigen, Verbergen ist ja das Biotop der Gewalt. Diese erste Phase sollte für eine Intervention genützt werden. Der Täter oder auch die Täterin spüren Schuldgefühle, Reue. Eine Konfrontation mit Gewaltexperten kann verhindern, ganz in die eigene Welt zu versinken.

STANDARD: Die Realität sieht anders aus. Täter bleiben sich und ihrer Aggression überlassen?

Dalpra: Gewalt geschieht sehr oft aus Ohnmacht heraus. Wird eine Gewalttat nicht aufgearbeitet, kann das für das Umfeld des Täters sehr gefährlich werden. Nach der ersten Phase des Erwachens kommt es sehr rasch zur Delegation der Schuldgefühle. Alle anderen sind schuld an der Tat. Solche Menschen können extrem gefährlich werden. Meistens trifft es dann die nächsten Angehörigen.

STANDARD: Gibt es die entsprechenden Rahmenbedingungen für Täterarbeit?

Dalpra: Nein, das größte Hindernis für uns ist der Datenschutz. Die Exekutive darf die Daten der Täter nicht an Beratungsstellen weitergeben. In Vorarlberg haben wir ein Pilotprojekt gestartet, um Kontakt zu den Tätern zu bekommen.

STANDARD: Wie funktioniert dieses Projekt?

Dalpra: Wir arbeiten eng mit der Polizei zusammen, sie holt bei der Wegweisung das Einverständnis zur Datenweitergabe an die Gewaltberatung ein. In maximal 72 Stunden nehmen wir dann Kontakt auf.

STANDARD: Wie hoch ist die Bereitschaft der Täter zu Gesprächen?

Dalpra: Ein Drittel stimmt der Datenweitergabe zu. 53 Prozent dieser Täter sind dann auch zur Aufarbeitung bereit. In der Arbeit mit den Tätern wird sehr rasch offensichtlich, ob jemand psychiatrische Behandlung oder engmaschige Betreuung braucht.

STANDARD: Zwei Drittel sind nicht zur Aufarbeitung bereit. Sollte Täterarbeit verpflichtend werden?

Dalpra: Ja. Denn vernünftige Täterarbeit ist auch Opferschutz. (Jutta Berger, 23.6.2015)