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Fackeln und Mistgabeln – oder doch nur einige UserInnen, die eine frauenverachtende Bemerkung zum Anlass nahmen, über Sexismus in Wissenschaft und Forschung nachzudenken?

Foto: apa/Martin Gerten

"Lassen Sie mich auf meine Probleme mit Mädchen zu sprechen kommen. Wenn sie im Labor sind, passieren drei Dinge: Du verliebst dich in sie, sie verlieben sich in dich, und wenn du sie kritisierst, fangen sie an zu weinen." Der Mann, der diese Aussage vor Publikum auf dem neunten Weltkongress der Wissenschaftsjournalisten getätigt hat, ist Tim Hunt, ein britischer Biochemiker, der für seine Verdienste um die Erforschung des Zellzyklus 2001 den Nobelpreis für Medizin erhalten hat und 2006 von der Queen in den Ritterstand erhoben wurde.

Auf diese Verdienste hinzuweisen lohnt sich schon allein deshalb, weil mittlerweile der Eindruck entstanden ist, dass von dem brillanten Wissenschafter Tim Hunt vor allem diese drei Sätze in Erinnerung bleiben werden, weil er einem unglaublichen Shitstorm zum Opfer gefallen ist, in dessen Folge nicht nur Hunts Reputation gelitten, sondern der Mann auch noch seinen Job verloren hat. Sogar der Bürgermeister von London fühlte sich bemüßigt, auf "den großen und unerbittlichen Moloch namens politische Korrektheit" zu schimpfen und einen Experten fürs Weinen zu zitieren, dessen Forschungen bestätigen, dass Frauen häufiger Tränen vergießen würden.

Zweierlei Maß

Männliche wie weibliche Wissenschafter, allen voran der Evolutionsbiologe und prominente Atheist Richard Dawkins, springen Hunt zur Seite und geben dabei verschiedene Versionen derselben Kernaussage zum Besten: Sicher, es sei ungeschickt/dämlich/sexistisch, so etwas zu sagen, aber deswegen dürfe doch eine solche Karriere nicht zerstört werden. Dawkins selbst spricht von einer "Hexenjagd".

Die Situation wirkt also einigermaßen absurd. Tatsächlich gestaltet sie sich allerdings noch absurder, weil an diesem Fall nicht nur offenkundig wird, wie sehr mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn es um männliche und weibliche Wissenschafter geht, sondern auch weil den sozialen Medien eine Rolle zugeschrieben wird, die sie so nie gespielt haben.

Tim Hunt ist tatsächlich Unrecht wiederfahren, aber man sucht danach bisher an den völlig falschen Stellen und verhindert geradezu, dass darauf ein ernsthafter Blick geworfen wird, weil man viel zu sehr damit beschäftigt ist, mediale Reaktionen als Angriffe zu verkennen, MeinungsträgerInnen zum Mob zusammenzuschreiben und vollkommen aus den Augen zu verlieren, was genau eigentlich geschieht beziehungsweise geschehen ist: Der Wissenschafter Tim Hunt macht auf einer Konferenz eine ausgesprochen sexistische Bemerkung. Diese gelangt via soziale Netzwerke in einen medialen Resonanzraum, in dem sie sichtbar und kommentierbar gemacht wird. Unter dem Hashtag #distractinglysexy beschäftigen sich daraufhin Wissenschafterinnen auf der ganzen Welt auf humorvolle Weise mit Hunts Aussage, sie würden in den Laboren die Männer ablenken, indem sie Fotos von sich posten, auf denen sie in ihrem ausgesprochen unerotischen Forschungsalltag zu sehen sind.

Auf der anderen Seite des Spektrums entschuldigt sich Tim Hunt für die ganze Sache, will es aber trotzdem genau so gemeint haben. Es sei unter anderem "enorm wichtig, dass man die Ideen der Leute kritisieren kann, ohne dass sie es persönlich nehmen und in Tränen ausbrechen".

Ganz persönlich lässt er sich anschließend in bester Diskreditierter-Politiker-Manier mit Frau vor seinem Landhaus fotografieren, die nicht versäumt, der Presse mitzuteilen, er sei wegen der Ereignisse "in Tränen ausgebrochen".

Hunts nachvollziehbare Verzweiflung verdient weder Spott noch Häme. Darüber, dass und warum sich der Wissenschaftsbetrieb seiner ohne zu zögern partiell entledigt hat, sollte in der Tat diskutiert werden. Aber man muss zugleich dringend darüber sprechen, warum hier so getan wird, als würde der Mann von einer wütenden Meute geteert und gefedert aus der Stadt gejagt. Tim Hunt hat mitnichten "seinen Job verloren", und er war auch nicht das Opfer einer gezielten Hetzkampagne.

Was soziale Medien mit wem machen

Mit 72 Jahren ist Tim Hunt für seine "Professur" am University College London weder bezahlt worden, noch war er aktiv in Lehre und Forschung eingebunden. Tatsächlich war Hunt niemals beim UCL angestellt und hat dort lediglich einem Preisvergabekommittee angehört. Und dem prestigeträchtigen Status als Mitglied der Royal Society macht ihm auch niemand streitig.

Es ist vielmehr so, dass seine Verzweiflung auch durch preisgekrönte Forschung nicht per se schwerer wiegt als die anderer Menschen. In diesem Fall Frauen, die sich aufgrund diskriminierender Erfahrungen dazu entschlossen haben, eine dämliche, frauenverachtende Bemerkung (die übrigens wohl nicht scherzhaft gemeint war) als dämlich und frauenverachtend zu demaskieren und sie zum Anlass zu nehmen, um laut über Sexismus in Wissenschaft und Forschung nachzudenken. Das macht noch lange keinen Shitstorm oder eine Hexenjagd. Und in diesem Zusammenhang gar von "Lynchmob" zu sprechen, ist eine ziemliche Frechheit.

Gerade angesichts der Tatsache, dass im Internet insbesondere Frauen, die lediglich ihr Recht auf Meinungsäußerung wahrnehmen und die weder so einflussreiche FürsprecherInnen noch so bemerkenswert gute Pressekontakte wie Tim Hunt haben, tagtäglich mit sexualisierter Gewalt und Mord gedroht wird, sollte man sehr genau hinblicken, wenn es darum geht, was soziale Medien mit wem machen. Die brennenden Fackeln und die Mistgabeln auf Twitter und Facebook gibt es wirklich. Nur dienen sie eben auch dann als Waffen, wenn es darum geht, ihre Verwendung lediglich zu behaupten, um auf die Art legitime Formen des Onlineprotests zu desavouieren. (Nils Pickert, 23.6.2015)