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Die Ursache für Mundgeruch ist in knapp 90 Prozent der Fälle in der Mundhöhle zu finden. Dental- und Zungenhygiene sind die beste Prophylaxe.

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Manchmal sind enge Räume nicht nur für Klaustrophobiker eine Herausforderung: Selbst für furchtlose Menschen kann beispielsweise eine überfüllte U-Bahn, wo Körper, Nasen und Münder dicht gedrängt nebeneinander stehen, zu einem olfaktorischen Himmelfahrtskommando werden. Besonders dann, wenn neben Achsel- auch Mundhöhlen ein Odeur verbreiten, dass es einem regelrecht den Atem verschlägt.

"Etwa ein Viertel der Menschen hat Mundgeruch, der Großteil nur zu bestimmten Zeiten, etwa fünf bis sieben Prozent 24 Stunden am Tag", erklärt Andreas Filippi von den Universitätskliniken für Zahnmedizin in Basel.

Die Unterscheidung zwischen temporär schlechtem Atem und chronischer Halitosis, wie es im Fachjargon heißt, ist für Laien allerdings schwierig. "Häufig wird ein eigenartiger Geschmack mit Mundgeruch gleichgesetzt", sagt Filippi. Ein Trugschluss, denn "echte" Halitosis können Betroffene nicht selbst diagnostizieren.

Unmögliche Eigenwahrnehmung

Da die Nase an den eigenen Geruch gewöhnt ist, nützt es wenig, in die Hand zu hauchen und daran zu riechen. "Das ist vergleichbar mit einer erhöhten Ozonbelastung im Sommer. Eigentlich müssten die alle merken, denn Ozon in dieser Konzentration würde als stechend riechendes Gas wahrgenommen werden. Da die Nase aber permanent mit diesen Geruchsmolekülen konfrontiert wird, fällt uns das nicht mehr auf", erklärt der Schweizer Experte.

"Die wichtigste Frage an den Patienten lautet daher: 'Woher wissen Sie, dass Sie Mundgeruch haben'", ist Sven Leopold, Facharzt für Zahn- und Kieferheilkunde in Wien, überzeugt. "Antwortet er: 'Weil ich es selbst rieche‘, weiß ich, dass das nicht stimmen kann", ergänzt der Experte.

Die Angst vor dem Mundgeruch

Grundsätzlich wird zwischen einem klar diagnostizierbaren, physiologisch verursachten und einem psychisch bedingten Mundgeruch differenziert. Etwa ein Drittel der Patienten, die zu Sven Leopold in die Praxis kommen, leiden unter einer sogenannten Halitophobie, dem eingebildeten Mundgeruch.

Durch die Messung der Atemluft können zwar keine Anomalien nachgewiesen werden, trotzdem sind diese Patienten davon überzeugt, unerträglichen Mundgeruch zu haben. Sven Leopold erinnert sich noch gut an eine 28-jährige Frau, die verzweifelt zu ihm kam. In der Überzeugung, dass sie sozial inkompatibel aus dem Mund riecht. Der Vater habe ihr das gesagt. "Ich hakte nach, wann das war. Sie antwortete: 'Im Alter von acht Jahren‘", berichtet der Experte.

Um eine Halitophobie auszulösen, reicht nicht selten eine einzige abfällige Bemerkung wie: "Du könntest dir wieder einmal die Zähne putzen". "In weiterer Folge suchen Menschen, die das Gefühl haben, an Mundgeruch zu leiden, umso gezielter nach Zeichen, die ihren Verdacht verstärken. Das kann in eine regelrechte Abwärtsspirale münden", gibt Filippi zu bedenken.

Professionelle Messung der Atemluft

Vereinzelt bieten Zahnmediziner sogenannte "Mundgeruch-Sprechstunden" an. Hier wird abgeklärt, ob beziehungsweise um welche Form der Halitosis es sich handelt. Während der zahnärztlichen Untersuchung von Mundhöhle, Zunge, Zähne und Rachen, prüft der Arzt auch, ob er mit seiner Nase Mundgeruch wahrnehmen kann. "Es ist den meisten Patienten sehr peinlich, wenn ich zu ihnen sage: 'Bitte hauchen Sie mich an oder zählen Sie laut bis zwanzig'", erzählt Sven Leopold. "Am besten ist es deshalb, während der Untersuchung mit den Patienten ein bisschen Small-Talk zu betreiben", ergänzt Filippi.

Anschließend wird mit dem Halimeter die Gesamtkonzentration von Gasen wie Schwefelwasserstoff, Dimethylsulfid oder Methylmercaptan gemessen. Die Summe der Schwefelverbindungen gilt dabei als seriöses Maß für die Stärke des Mundgeruchs. "Die Messgeräte unterstützen aber nur das, was wir ohnehin mit der Nase wahrnehmen. Das heißt, den Gas-Chromatograph brauche ich weniger für die Diagnose, sondern hauptsächlich für die Patienten", sagt Filippi. Denn: Patienten glauben eher einem Display mit konkreten Messwerten als der subjektiven Beschreibung durch den Arzt. "Besonders dann, wenn es darum geht den Therapiefortschritt zu verdeutlichen."

Vielfältige Ursachen

Bei knapp 90 Prozent der Betroffenen liegt die Ursache für Halitosis im Mundraum. Verursacht durch Parodontitis, Gingivitis (Entzündungen des Zahnfleisches), Karies und vor allem den Zungenbelag. "Besonders der hintere Teil der Zunge hat tiefe Gräben und Täler, in denen sich Bakterien wohl fühlen, sich über Speisereste freuen und gut von ihnen leben. Der dickflüssige Speichel deckt das Ganze ab und sorgt für ein anaerobes Gebiet, in dem sich flüchtige Schwefelverbindungen bilden können", erklärt Sven Leopold.

In etwa vier Prozent der Fälle sorgen HNO-Erkrankungen wie eine Entzündung der Rachenmandeln oder der Nasennebenhöhlen für schlechten Atem. Relativ selten stecken auch Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts oder andere Pathologien wie ein Lungkarzinom oder unbehandelter Diabetes dahinter.

Keine medikamentöse Behandlung

Im Mundraum tummeln sich 600 bis 700 verschiedene Bakterienarten. "Ein Großteil davon ist lebensnotwendig und essentiell, etwa für die Verdauung. Nur ein kleiner Teil sondert Gase ab und führt zu Mundgeruch", erklärt Leopold. Aus diesem Grund rät der Zahnmediziner von einer Behandlung mit antibiotischen Lutschtabletten oder antibakteriellen Spülungen ab: "Dadurch wird das gesamte Gleichgewicht im Mund durcheinander gebracht."

Als Prophylaxe empfehlen beide Experten regelmäßige Zahn- und Zungenhygiene, am besten drei Mal täglich. Der schlechte Atem, der durch den Zungenbelag hervorgerufen wird, lässt sich durch die Reinigung des Zungenrückens mit einer speziellen kurzborstigen Bürste reduzieren. "Grundsätzlich reicht es, wenn die Zahnpasta in das Epithel sanft einmassiert wird. Für Halitosis-Patienten gibt es zinkhaltige Gels", ergänzt Filippi.

Tabu brechen

Über Mundgeruch zu sprechen gilt selbst in zahnärztlichen Praxen noch immer als Tabu. "Wir haben kein Problem damit, auf Karies hinzuweisen, aber der Umgang mit Mundgeruch wurde an der Uni nicht gelehrt", sagt Filippi. Es gibt zwar Halitosis-Patienten, bei denen auch er sich denkt‚ "das ist jetzt kaum auszuhalten, doch es bringt nichts, das Problem zu beschönigen und zu sagen: 'Sie riechen ein wenig aus dem Mund‘".

Die Psychologen in seinem Team raten deshalb dazu, die schlechte Botschaft indirekt zu formulieren. Nach dem Motto: "Es fällt mir nicht leicht, aber ich will Ihnen sagen, da ich in der gleichen Situation froh wäre, wenn mich jemand darauf aufmerksam machen würde: Sie haben Mundgeruch." (Günther Brandstetter, 29.6.2015)