Inkontinenz wird noch immer tabuisiert, dabei müsste das nicht so sein. Mehr als eine Million Österreicher leiden darunter, Tendenz steigend.

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Harninkontinenz in Österreich

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Ergebnisse der Patientenbefragung

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"Inkontinenz bringt einen nicht um, aber sie nimmt das Leben", sagte Janet Brown, amerikanische Frauenärztin. Mittlerweile ist sie die vielleicht häufigste chronische Erkrankung der Welt, dennoch wird sie nach wie vor tabuisiert. "In Österreich leidet ein Großteil der etwa 1 Million Betroffenen still", erklärt Max Wunderlich, Präsident der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ), anlässlich der heurigen Welt-Kontinenz-Woche bei einer Pressekonferenz.

Heimliches Leiden

Und es werden immer mehr Betroffene, was auch und vor allem auf die demographische Entwicklung zurückzuführen ist. Seit 170 Jahren steigt die Lebenserwartung in Europa kontinuierlich, so gibt es heute schon mehr als 420.000 über 80-Jährige. 2030 werden es bereits 650.000 sein.

In dieser Altersgruppe leiden laut aktueller Patientenbefragung rund 40 Prozent der Frauen, und 25 Prozent der Männer an Inkontinenz. Insgesamt leiden Frauen neunmal häufiger unter unfreiwilligem Harnverlust. Der Leidensdruck ist enorm. Dennoch wird kaum Hilfe gesucht. Nur rund ein Drittel spricht darüber.

"Der unfreiwillige Verlust von Harn oder Stuhl wird als persönlicher Makel empfunden, die Tabuisierung führt zum sozialen Rückzug. Man teilt sich niemandem mit, weder der eigenen Familie noch Freunden, kaum jemals den Ärzten", sagt Wunderlich. So wird das Problem zum heimlichen Leiden, ein normales Leben ist kaum mehr möglich. Die gute Nachricht: Für jede Form der Blasen- und Darmschwäche gibt es Hilfe und zumindest Linderung – oft auch Heilung.

Ursachen und Beschwerden

Der Österreichische Patientenbericht zur Blasengesundheit ist das Ergebnis einer österreichweiten Umfrage und spiegelt die Situation sowie die subjektiv empfundenen Bedürfnisse von knapp 450 Inkontinenzpatienten aus allen Altersgruppen im Umgang mit ihrer Erkrankung wider. Die Umfrage wurde im Mai 2015 im Auftrag von Astellas Pharma, das 2012 den neuen Wirkstoff Mirabegron entwickelte, und der MKÖ durchgeführt.

Das Ergebnis: Bei Personen, die bereits in ärztlicher Behandlung waren, ist mehrheitlich (34 Prozent) eine Beckenbodenschwäche als Ursache diagnostiziert worden. Auch diverse Blasenerkrankungen (Blasensteine, Blasenentzündungen etc.) sowie psychische Belastungen sind hauptverantwortlich für die Symptomatik.

Die Studie zeigt, dass 44 Prozent der Menschen eine merkliche Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität erleben. Vier von fünf waren in den letzten drei Monaten aufgrund ihrer Harninkontinenz zumindest zeitweise in ihren üblichen Aktivitäten (Beruf, Haushalt, Freizeit, Sport etc.) eingeschränkt. Zu den meist genannten Beschwerden zählen der häufige Gang zu Toilette (51 Prozent), die ständige Störung der Nachtruhe (43 Prozent) und der ungewollte Harnverlust beim Sport, Lachen oder Heben.

Dazu kommt oftmals der soziale Rückzug: "Viele gehen nicht hinaus, aus Angst sich in die Hose zu machen. Es ist in hohem Maße ein gesellschaftliches und soziales Problem", sagte Sozialwissenschafter Franz Kolland von der Uni Wien bei der Präsentation der Daten.

Therapie von Inkontinenz

Besonders problematisch ist, dass nur selten ärztliche Hilfe eingeholt wird. So haben gut zwei Drittel der Studienteilnehmer angegeben, in Bezug auf ihre Harninkontinenz noch nie in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein. Viele nehmen das Harnlassen hin als normale Alterserscheinung hin, dabei ist sie das keineswegs – sondern eine Erkrankung wie jede andere auch.

Für die es wirksame Therapien gibt: Ein regelmäßiges Beckenbodentraining (32 Prozent der Befragten bekamen es verordnet) hilft oft schon, kann auch mit einem Blasentraining kombiniert werden (zehn Prozent). Auch eine medikamentöse Behandlung mittels Anticholinergika (23 Prozent) und in hartnäckigen Fällen eine Operation in Betracht kann helfen – vier Prozent der Befragten unterzogen sich einer.

Bei der Zufriedenheit mit der aktuellen Therapie sind sich die Befragten jedoch uneinig. Gut 40 Prozent haben die Erfahrung gemacht, dass die Behandlung für sie zumindest einigermaßen gewirkt hat, ein weiteres Fünftel berichtet von guter Therapieeffizienz. Ebenfalls ein Fünftel gab jedoch an, dass die Therapie kaum oder gar nicht gewirkt hat.

Unzufrieden mit Medikamenten

Besonders unzufrieden sind die Betroffenen demnach mit der medikamentösen Behandlung mittels Anticholinergika– etwa die Hälfte bricht innerhalb der ersten drei Monate wegen mangelndem Therapieerfolg wieder ab. Durchschnittlich benoteten die Befragten den Erfolg der medikamentösen Therapie mit der Note drei ("befriedigend") auf der Schulnotenskala.

Eine Alternative könnte der relativ neue Wirkstoff Mirabegron sein, der sich in mehreren Studien als wirksam erwiesen hat und zudem ein anderes Nebenwirkungsprofil als die Anticholinergika aufweist. Derzeit wird es aber noch nicht von den österreichischen Kassen übernommen, auch die Deutsche Kassenärztliche Bundesvereinigung kommt zum Schluss, dass "der Zusatznutzen von Mirabegron nicht belegt ist."

Tabu brechen

Weil man den Harnverlust fast immer zumindest lindern kann, sollte man ihn so früh wie möglich abklären lassen, und zwar beim Urologen beziehungsweise Gynäkologen. Eine erste Anlaufstelle ist immer auch der Hausarzt, allgemeine Informationen gibt es auch bei der Kontinenzgesellschaft. Schließlich sei das Wichtigste, darin sind sich die Experten einig, dass das Tabu endlich gebrochen wird. In der Gesellschaft und bei jedem einzelnen. (fbay, 24.6.2015)