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Imposant erhebt sich das Radioteleskop des NRAO gegen den Hintergrund der Blue Ridge Mountains. Es ist höher als die Freiheitsstatue, in seiner Schüssel hätte ein Football-Feld Platz.

In West Virginia, eingebettet in das in "Country Roads" besungene Gebirge der Blue Ridge Mountains, liegt das Städtchen Green Bank im Osten von Pocahontas County. In der Nähe des Ortes stehen das National Radio Astronomy Observatory (NRAO) und nicht all zu weit entfernt auch eine Beobachtungsanlage der NSA.

Weil das Ohr in den Himmel absolute Funkstille benötigt, um auch in großer Distanz zur Erde noch nach kosmischen Signalen lauschne zu können, wird der Ort weder von Radiostationen noch Mobilfunksendern abgedeckt. Das hat ihn nicht nur zu einem Ziel für Menschen gemacht, die bei einem Ausflug die Stille und Natur genießen wollen, sondern mittlerweile auch zum Refugium von "Elektrosensitiven" und Verschwörungstheoretikern gemacht. Der Guardian hat Green Bank einen Besuch abgestattet.

Geheime WLANs

Etwa 120 Einwohner hatte das Dorf, dessen Gebäude sich fast nur um eine Straße versammeln, ursprünglich. Es gibt ein wenig besuchtes Motel, in dem eine Übernachtung 30 Dollar kostet und in dem zumindest sechs Katzen wohnen, welche der Betreiberin gehören. Es gibt eine Schule, Kirche, Bibliothek, einen Handwerksladen und "Henry's". Letztere Einrichtung kombiniert Tankstelle, Supermarkt, öffentliches WC und ein Restaurant und ist damit der lokale Treffpunkt vieler Bewohner.

Manche Bewohner würden zuhause WLANs betreiben, erfährt man hier von einer Kellnerin. Offiziell sei dies nicht verboten, allerdings habe das Observatorium einen Wagen für Kontrollfahrten und würde auch schon mal vorstellig und um Abschaltung des Funknetzwerks bitten.

Mekka der "Elektrosensitiven"

Zuletzt wurde immer wieder über Spannungen unter den Einwohnern von Green Bank berichtet. Grund soll der Zuzug neuer Leute sein, der sich offenbar nicht gut auf die Gemeinschaft auswirkt. Von Drohungen und Anfeindungen wird berichtet. 40 neue Bewohner hieß der auf nun rund 160 Einwohner angewachsene Ort in den vergangenen zehn Jahren willkommen, ein Großteil von ihnen leidet laut Selbstdiagnose unter einer Empfindlichkeit gegenüber Funksignalen.

Genannt wird das Phänomen auch "Elektromagnetische Hypersensitivität" (EHS), dessen Existenz bislang aber noch von keiner Studie belegt werden konnte. Laut WHO gibt es keine klaren diagnostischen Kriterien und keinen Nachweis, dass elektromagnetische Strahlung für die verorteten Symptome verantwortlich ist.

Schon lange im Ort wohnt Arnie Stewart. Er sieht sich als Vermittler zwischen den ursprünglichen Bewohnern und den Neuen. Ursprünglich war er skeptisch gegenüber EHS, nachdem er sich aber mit einer Gruppe Betroffener traf, diesen nicht mitgeteilt hatte, dass er ein Handy dabei hatte und selbiges sofort bemerkt wurde, ist er überzeugt. Die meisten Elektrosensitiven hätten sich mittlerweile eingefügt, nur eine Person mache Probleme.

Störenfried

Gemeint ist Diane Schou, eine der ersten Neuzugänge. Sie kam 2007 an, nachdem sie sich durch einen in der Nähe ihres Hauses errichteten Funkmasten zum Auszug genötigt sah. Dieser hätte verschwommenes Sehen, Kopfweh und Hautausschläge ausgelöst, gibt sie zu Protokoll. Sie hätte Symptome der Strahlenkrankheit gezeigt, die eigentlich nur bei Menschen auftreten, die sich einer zu hohen Dosis an Radioaktivität aussetzen.

Allerdings: Funktürme von AT&T, Sprint oder Cellular One lösen bei ihr keine Probleme aus. Empfindlich reagiert sie auf die Funkwellen von US Cellular-Stationen. Sie reiste nach Nicaragua und Schweden – wo Elektrosensitivität als Einschränkung anerkannt wird -, fand aber erst in Green Bank einen Ort, in dem die Abschottung von den Funkwellen strikt genug exekutiert würde. Ihren Mann, der nicht mitgezogen war, sieht sie jetzt nur noch alle paar Monate.

Beschwerden und Sabotageakte

Schou ist Quell zahlreicher Beschwerden. Sie verlangte von anderen Bewohnern, Halogenlampen gegen weniger "strahlende" Leuchtmittel zu tauschen oder das Licht abzudrehen. Gleichzeitig warb sie bei anderen Elektrosensitiven um Zuzug, obwohl Arbeitsplätze und Wohnraum in dem Ort ein knappes Gut sind.

Das erhöhte die Spannungen. Schou berichtet von einem Treffen, in dem sie und ihr Mann andere Bewohner über Elektrosensitivität aufklären wollten. Der Austausch eskalierte verbal. Andere Leute aus der Stadt würden sich ihr teilweise mit versteckten Elektronikgeräten nähern, um eine Reaktion zu provozieren und sogar die Luft sei ihr einmal aus den Autoreifen gelassen worden. Sie vermutet, dass sie Ziel einer Verschwörung geworden ist und ehemalige Angestellte von Telekom-Konzernen sie los werden wollten.

Chemtrails und Psychosomatik

Auch Charlie Meckna floh vor der Strahlung nach Green bank. Mobiltelefone, öffentliches WLAN und andere Dinge hätten bei ihm Schwindligkeit und Übelkeit ausgelöst. Er zog schließlich in die bergige Einsamkeit, da er überzeugt war, sonst an den Folgen von EHS zugrunde zu gehen. Meckna ist allerdings auch überzeugt, dass die US-Regierung das Klima mit Chemtrails manipuliert.

Während EHS weiter unbelegt bleibt, vermutet Cummings, dass es letztlich die Natur und Ruhe von Orten wie Green Bank sind, die die Leute in Wahrheit anziehen. Die gefühlte Hypersensitivität ist seiner Einschätuzng nach eher eine psychosomatische Erscheinung, verursacht durch den Stress der zahllosen Stimuli, die im Alltag auf viele Menschen einprasseln. (gpi, 30.8.2015)