Die mit leichter Verspätung aufgeflammte Debatte um Ronja von Rönnes Kommentar in der Welt "Warum mich der Feminismus anekelt" bietet Anlass, an eine Unterscheidung zu erinnern, die in der Diskussion um den Feminismus gerne übersehen wird. Es ist dies die Unterscheidung zwischen liberalem und radikalem Feminismus.
Dem liberalen Feminismus geht es allein um die universelle Geltung der Grund- und Freiheitsrechte. Damit unterscheidet sich der liberale Feminismus nicht wesentlich von seinem Namensgeber, dem Liberalismus: Männer und Frauen sollten rechtlich und also hoheitlich gleichbehandelt werden. Genauso wie Arbeiter und Grundbesitzer, Burgenländer und Tiroler, Fliegenfischer und Nacktbader.
Ich will mich nicht festlegen, aber ich glaube, dass Fliegenfischer statistisch gesehen mehr verdienen als Nacktbader. Dem liberalen Feminismus, dem Liberalismus ist das egal. Auch wenn es umgekehrt wäre. Geht mich nichts an, sagt der Liberalismus, andere Baustelle. Mit der Errungenschaft des allgemeinen Wahlrechts, der Berufs- und Gewerbefreiheit und der übrigen rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau hat dieser liberale Feminismus also seine Ziele erreicht.
Natürlich kann man mehr wollen als die universelle Geltung der Freiheitsrechte. Gerechtigkeit zum Beispiel. In deren Namen kann man umfassende Revanche für vergangenes Unrecht wollen; oder gleichen Lohn für alle oder gleiches Glück für alle oder gleiches Begehrtwerden aller. Denn in der Tat ist es ungerecht, das manche glücklich, andere unglücklich, manche gesund, andere krank, manche schön, andere hässlich, mache intelligent und andere dumm sind.
Nikolaus Harnoncourt verdient mit drei Taktschlägen wahrscheinlich mehr als eine Krankenschwester in drei Stunden. Ungerecht. George Clooney finden alle sexy und Norbert Darabos nicht so sehr. Das ist tatsächlich ungerecht.
Natürlich kann man etwas anderes wollen als die universelle Geltung der Freiheitsrechte, nur eines kann man nicht: es im Namen der Freiheit wollen. Denn alles, was über die universelle Geltung der Freiheitsrechte hinausgeht, muss notgedrungen auf Kosten gerade dieser Freiheitsrechte gehen. Das ist nicht besonders neu, aber deshalb nicht schon unwahr.
Insofern sind Spielformen des Feminismus, die über den liberalen Feminismus hinausgehen, auf ihre Art antiliberal und also radikal. Mehr oder weniger. Das Spektrum reicht von Bevorzugung von Mädchen vor Buben im Namen der Gerechtigkeit, über die Forderung nach einer Beweislastumkehr in Sexualstrafverfahren im Namen der Gerechtigkeit bis zu den Forderungen zur Dezimierung der gesamten männlichen Bevölkerung auf etwa zehn Prozent im Namen der Gerechtigkeit.
Gerechtigkeit will und kann viel. Nur um die Freiheit steht es dann meistens schlecht. Das macht von Rönne Sorgen, und in ihrem Artikel gibt sie ein Plädoyer für den liberalen Feminismus ab. Dafür wird sie nun von den antiliberalen Feministinnen gehörig abgewatscht. Hashtag gut gemacht.
Wie es dazu kommen konnte, dass gerade der antiliberale, radikale Feminismus heute in vielen Kreisen Konsens geworden ist, ist an sich eine hoch interessante Frage. Ich glaube, das hat mit institutionellen Gründen wie dem Beharrungsvermögen von feministischen Lobbygruppen im Angesicht der eigenen ungeplanten Obsoleszenz zu tun. Zum andern sicherlich auch mit dem tieferen ideengeschichtlichen Grund, dass sich in einem historischen Moment der allgemeinen Unaufmerksamkeit ein Wust an antiliberalen Thesen über die Konstruier-und Dekonstruierbarkeit von allem und jedem mit dem vakant gewordenen marxistisch-utopischen Impuls verbunden hat.
Von angloamerikanischen Fakultäten ausgehend, vornehmlich aus den Fächern Französisch, Englisch, Anthropologie und eigens dafür geschaffenen Gender-Studies, haben diese Ideen Gutteile der öffentlichen Verwaltung und des Medienwesens unterwandert. Was in den 1970ern als radikaler, postmoderner Schwachsinn einiger Wichtigtuer im Fahrwasser von Derrida und Foucault galt, wird heute von jedem zweiten Magistratsbeamten und Zeitungspraktikanten als gegeben genommen.
Dabei können sich radikale Feministinnen nicht darauf einigen, ob Geschlechterunterschiede tatsächlich durchgängig kulturell konstruiert oder ob Frauen nicht doch von Natur aus überlegen sind. Egal, eines so gut wie das andere. Oder ob Transgender-Frauen weibliche Freunde sind oder einfach nur Männer, die die Weiblichkeit kolonialisieren und, um es mit Janice Raymond zu sagen, "Frauenkörper vergewaltigen, indem sie diese für sich beanspruchen". Gerechtigkeit ist verwirrend. Worüber man sich einig ist, scheint lediglich, dass Freiheit keine Rolle spielen darf, weil sie eine Vorschützung der patriarchalischen Macht ist, genauso wie das Private oder die Ergebnisse der Naturwissenschaften, die Behauptungen der Feministen und Gender-Theoretikern widersprechen; Liberalismus ist Schimpfwort, mit oder ohne vorgestelltes "Neo-". Wer braucht da noch radikale Marxisten, wenn er solche Feinde hat!
Dass sich ein junger Mensch, egal ob Frau oder Mann, traut und zumutet, sich gegen die permanente Machtdemonstration eines derartigen, beinahe gewerkschaftlich organisierten Ressentiments zu stellen, ist bewundernswert und gibt Hoffnung. Denn das Ressentiment, die symbolische Rache, ist das Gift, das in den gesellschaftlichen Adern fließt. In diesem Fall ist es das Ressentiment gegen erfolgreiche, unabhängige Frauen wie von Rönne selbst, die ohne gewerkschaftlichen Schutz und Solidarität erreicht zu haben behaupten, wozu sie gemäß reiner feministischer Lehre gar nicht in der Lage sein dürften. (Christoph Kletzer, 26.6.2015)