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So ähnlich hat Bob Dylan auch in Wiesen ausgesehen. Fotografieren durfte man den Altmeister dort aber nicht
Wiesen – Getanzt hat er. Häuptling Knieweich. Nicht viel. Ein paar Schritte vor, ein paar zurück. Wie einer, der beim Squaredance eine Maid anvisiert, nachdem er den Schimmel über 20 lange Meilen geschunden hat. Jetzt beißt der Wolf im Schritt, das geht ein wenig auf Kosten der Eleganz. Blöde Sache. Darum singt er ein grimmiges Lied. "Pay in Blood", mit Zeilen, die wie nebenbei sein eigenes Tun beschreiben. "The more I take / the more I give. The more I die / the more I live."
Es ist Bob Dylan, der da vom Gaul gestiegen ist. Er will eine Rechnung mit Blut begleichen, aber es soll nicht sein eigenes sein. "This is how I spend my days / I came to bury, not to raise / I'll drink my fill and sleep alone / I pay in blood, but not my own." Was einem halt so in den Sinn kommt, wenn man sich endlos auf Tour befindet, wenn nicht einmal der Tod das Ende sein soll.
Enigma und Privatgott
Es gehört zur Folklore der Wiesen-Berichterstattung, sein Konzertgelände zu würdigen. Es ist das schönste Österreichs. Und um Folklore, um Folk, sollte es am Freitagabend auf und vor der Bühne gehen. Zur großen Freude von mehreren tausend Menschen stand Bob Dylan vorne im Licht, sang, tänzelte und spielte Klavier oder blies seine Harmonika. Irgendwann spielte er "Tangled up in Blue". Das passt gerade bestens ins Burgenland.
An der Folklore hängen Traditionen und Rituale. Dylan, als einer der wenigen Unantastbaren der Populärkultur, verursacht unter seinen Anhängern und deren Anhang jedes Mal Sonntagsgefühle. Noch vor dem ersten Ton. Man geht nicht bloß ins Konzert, man geht zu Bob Dylan, His Bobness. Diesem Enigma, diesem Privatgott, dem man fast alles abnimmt und nachsieht und von dem man sich entweder nicht enttäuschen lassen will oder der einen schlicht nie enttäuscht.
Egal was er selbst von den Motiven der Verehrung hinsichtlich seiner Person hält, da kommt er nicht mehr raus, und mit 74, seit langen Jahren auf der von ihm ausgerufenen Never-Ending-Tour unterwegs, hat er sich damit längst arrangiert. Auch seine von ihm in Buchform vorgelegten "Chronicles" konnten die Heiligenverehrung nicht schmälern, eher im Gegenteil. Hat sich ein Mythos erst einmal etabliert, bedarf es keiner Fakten mehr.
Die Dinge ändern sich
Derart losgelöst geht also alles. Manchmal präsentiert der US-Amerikaner Ausschnitte aus seinem Katalog auf einem Tourabschnitt besonders grimmig und zerklüftet, ein anderes Mal wieder harmonisch, selten nahe am Original, alles wird nach Tagesverfassung entschieden.
Zur Eröffnung seines Konzerts richtete er "Things Have Changed" zugrunde. Eine Weltnummer, aber er verschwendete sie an die Tontechnik zum Justieren. Das ist das Schicksal von Eröffnungsnummern, und Dylan kann sich das leisten. Er hat ja noch ein paar. "Things Have Changed" war zuerst kaum wieder zu erkennen, aber das lag nicht an der Technik. Dylan deutete sie in Richtung Western Swing. Das ist ein in Texas geborenes, süßliches Country-Subgenre, in dem die Pedal-Steel-Gitarre eher hurtig, eher Autofahrer-unterwegs-mäßig gespielt wird, anstatt widmungsgerecht Jammertäler auszuloten, zu heulen und zu jaulen.
Dylan ist seit gut 15 Jahren immer wieder in diese Richtung unterwegs. Zart angejazzelt und angesäuselt, mit Stehbass. Bauernjazz sagen jene, die das nicht so mögen.
Kleine Toleranzproben
Aber die Welt liegt ihm ohnehin zu Füßen, Dylan geht voraus, seine Gemeinde folgt ihm. Und schließlich ist die Neudefinition, die Umdeutung seiner Songs Teil des Gesamtkunstwerks. Hin und wieder mutet er seinem Publikum kleine Toleranzproben zu, veröffentlicht etwa ein Weihnachtsalbum oder, wie heuer, eines mit Frank-Sinatra-Songs. Was er tut, hat immer mehr Fürsprecher als Gegner. Im Falle des Weihnachtsalbums aber wohl nur, weil sich die Konsumation desselben nur einmal im Jahr wirklich aufdrängt. Seine Sinatra-Würdigung streifte er am Freitag zwar, aber das schönste daran war die Beleuchtung.
Was die Pilger auf der aktuellen Konzertserie erwartet, wussten viele schon vorab. Die Buchhalterei, die Archivare, die vergleichenden Wissenschaften, sie sind Teil des Phänomens Dylan. Aber wer das Netz als Todbringer der Magie des Augenblicks vorab bemüht, ist selber schuld. Von Dylan muss man sich überraschen lassen.
Halbzeit und Pause
Für "Beyond Here Lies Nothin’" setzte er sich zum ersten Mal an den Flügel, und drückte ihn forsch, in der für ihn typischen Körperhaltung: Die Schultern im Anzug hochgezogen, als wäre der Kleiderhaken noch drinnen. Der "Workingman's Blues #2" bremste die Euphorie wieder, "Duquesne Whistle" machte alles wieder gut. Zur Halbzeit ging der Meister dann plötzlich in die Pause. Die brauchte er, nicht das Publikum. Sie unterbrach das Vergnügen, warum Dylan das machte, weiß man nicht, man fragt aber auch nicht. Nur die Frage, was sich unter seinem Hut befindet, erscheint noch vermessener.
Als es mit "High Waters" weiterging, hatte sich nichts geändert. Die Lieder wurden entweder in Richtung Blues oder Western Schwindsucht gebogen. Er tänzelte, das Publikum empfing diese Stimmungsbilder euphorisch. "Forgetful Heart" fiel besonders schön aus, "Simple Twist of Fate" nicht so. Aber darüber müsste man ein Buch schreiben. Oder zwei. Also lieber nicht diskutieren. Wozu? Die Luft war lau, die Stimmung gut, am Ende spielte er "Love Sick". Kann man liebeskrank werden, wenn man zu sehr geliebt wird? (Karl Fluch, 27.6.2015)