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Juncker, Tsipras: Entsetzen in Brüssel nach Verhandlungsende.

APA/EPA/JULIEN WARNAND

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Für den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis endete das Treffen der Eurogruppe am Samstag frühzeitig. Nach dem Bruch berieten seine 18 Kollegen ohne ihn weiter.

APA, Alexandros Vlachos

Es war Freitag, 26. Juni, kurz vor Mitternacht. Beamte der EU-Kommission, die mit den Verhandlungen zum Hilfspaket für Griechenland beschäftigt sind und die Sitzung der Eurogruppe tags darauf vorbereiten, trauen ihren Augen nicht.

Auf ihren Smartphones lesen sie bei Twitter erste Infos, der griechische Premier Alexis Tsipras wolle in einer TV-Rede an die Nation eine Volksabstimmung über das Eurohilfsprogramm ankündigen. Er war nur acht Stunden zuvor von Brüssel nach Athen zurückgeflogen, nach Abschluss des EU-Gipfels der Regierungschefs.

Die Beamten rätseln, worüber abgestimmt werden soll. Bei ihnen auf dem Tisch liegt nur der letzte Vorschlag der Experten der drei Geldgeberinstitutionen – Eurostaaten, Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Das ist ein Konzept, das aber nicht beschlossen ist.

Sie hatten darüber am Abend noch mit der griechischen Delegation gesprochen. Die Stimmung war gut. Ein Vertreter der EZB sagt dem Standard, man sei jetzt überzeugt, dass das "morgen was wird". Es gebe keine grundsätzlichen Hürden. Jetzt müssten nur noch die einzelnen Punkte abgearbeitet werden: ein paar Zehntelprozentwerte da rauf, dort runter. Ein paar Dutzend Millionen weniger Einschränkungen bei Frühpensionen. Oder die Kürzung der Militärausgaben nicht von 200 auf 400 Millionen jährlich hochtreiben, wie es die Gläubiger fordern.

Normalerweise ein Klacks

Aber da rede man von ein paar Hundert Millionen Euro Differenz zwischen Griechen und Institutionen. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis nannte die Zahl von 450 Millionen. Solche Beträge sind im Maßstab einer Union, die eine Wertschöpfung von weit mehr als 10.000 Milliarden Euro hat, normalerweise ein Klacks. Das Spar- und Reformpaket, über das gerungen wird, hat ein Volumen von 7,9 Milliarden Euro bis Ende 2016.

So war die Stimmung. Aber die griechische Delegation hatte auch einen Anruf erhalten, ging vorzeitig. In Athen tagte die Führung der regierenden Syriza-Partei mit Tsipras "zum Paket". Diese Sitzung der Eurofinanzminister war für 14 Uhr angesetzt. Die Verhandler hofften, die griechische Regierung würde dann endlich jene 15,5 Milliarden Euro Kredithilfen und EZB-Gelder bekommen, um eine drohende Insolvenz abzuwenden.

Jetzt aber starren sie entsetzt auf die Meldungen nach Tsipras' TV-Auftritt. Er wollte der Bevölkerung ein Nein empfehlen, sprach davon, dass die Partner Griechenland "erniedrigen" wollten.

Der Bruch um Mitternacht

Tsipras hatte seit Mittwoch persönlich in Brüssel mitverhandelt, mit den höchsten Ebenen von Kommission, EZB, IWF, mit Jean-Claude Juncker, Mario Draghi und Christine Lagarde also, um Kompromisse gerungen. Freitagmittag gab es ein Sechs-Augen-Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande, die ihn baten, ihr Angebot anzunehmen.

Die beiden waren es dann am Abend auch, die Tsipras als Erste informierte. In Brüssel, Berlin und Paris wurde noch in der Nacht reagiert. Als die Eurofinanzminister zu Mittag in Brüssel eintrudelten, war klar erkennbar, was kommt. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem zeigte sich überrascht über "diese traurige Entscheidung für die Griechen". Wolfgang Schäuble sagte, eine neuerliche Verlängerung des Programms werde es kaum geben. Der Finne Alexander Stubb sprach Klartext: "Nach dem Scheitern von Plan A kommt jetzt Plan B". So kam es auch.

Varoufakis trug seinen Kollegen die Entscheidung für ein Referendum vor, wiederholte noch einmal alle Argumente, warum er die Vorschläge von EU, EZB und IWF ablehnte, wie in den fünf Sitzungen der Eurogruppe in neuen Tagen davor. Aber die 18 Partner wollten nicht lange diskutieren. Man nehme ihm nicht ab, dass er bei einem Ja der Bevölkerung ein Reformprogramm umsetzen werde, das er persönlich ablehnt, so der Tenor.

EZB-Chef Draghi informierte die Runde, dass seit Mitternacht an den Bankomaten in Griechenland 600 Millionen Euro behoben wurden, zwanzigmal so viel wie an normalen Samstagen.

Ende des Hilfsprogramms

18 Minister beschließen eine Erklärung, in der sie das Ende des Hilfsprogramms ab 30. Juni bestätigen, wie im Februar vereinbart. Griechenland ist dagegen, was in der Fußnote des Dokuments vermerkt wird. Dann geschieht etwas, was es in der Eurogruppe seit 1998 noch nie gegeben hat: 18 Minister beschließen, nach dem offiziellen Ende der Sitzung informell weiterzureden, was nach einer Insolvenz Griechenlands zu tun wäre, um den Euro zu stabilisieren – ohne Varoufakis, "unter uns", wie Schäuble später sagt.

Der Grieche besteht darauf, dass der Rechtsdienst des Rates prüfen müsse, ob das zulässig sei. Es wird bestätigt. Dijsselbloem gibt eine Pressekonferenz, erklärt, dass das Hilfsprogramm am Dienstag endet. Auch Varoufakis tritt vor die Journalisten und erklärt, dass das Referendum am Sonntag kommt.

Dann geht er, der Rest der Eurogruppe macht weiter. Die 18 haben den Griechen praktisch vor die Tür gesetzt, betonen aber, dass sie jederzeit für weitere Verhandlungen bereitstünden. "Die Tür bleibt offen", sagt Dijsselbloem. Da ist Varoufakis aber schon weg. (Thomas Mayer aus Brüssel, 29.6.2015)