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Das EU-Parlament wollte sowohl ein Roaming-Aus als auch ein Ende der Netzneutralität.

Foto: Reuters/Kessler

Nach monatelangem Ringen haben sich EU-Kommission, EU-Parlament und Vertreter nationaler Regierungen in der Nacht von Montag auf Dienstag bei strittigen Fragen zum digitalen Binnenmarkt geeinigt. Im Zentrum standen Roaming-Gebühren bei Auslandstelefonie und Netzneutralität. Kritiker hegen die Vermutung, dass bei den zwei Themenfeldern ein Tauschhandel mit Telekomkonzernen stattgefunden habe. So sollen Verluste durch ein Roaming-Aus durch "Spezialdienste" im Internet aufgefangen werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Kann man künftig günstiger im Urlaub telefonieren?

Ja. Wer ein- bis zweimal im Jahr innerhalb der EU verreist, darf ohne hohe Kosten daheim vermelden, wie schön Hotel und Wetter am Urlaubsort sind. Ab Mai 2016 gibt es eine Höchstgrenze von fünf Cent pro Minute bei eingehenden Anrufen (jetzt sind es 19 Cent für abgehende), SMS kosten maximal zwei Cent (derzeit sechs Cent) und ein MB Daten höchstens fünf Cent (derzeit 20 Cent). Ab 2017 gibt es im Ausland keine Extragebühren – allerdings nicht unbegrenzt: Telekomkonzerne dürfen Einschränkungen machen, wenn Kunden zu oft im Ausland telefonieren.

Was bedeutet das für Geschäftsleute, die beruflich unterwegs sind?

Dass der digitale Binnenmarkt eigentlich dazu da war, Hürden für Unternehmen niederzureißen, ist in den vergangenen Monaten offenbar völlig ins Hintertreffen geraten. Wer öfters ins Ausland reist, muss nach einer bestimmten Obergrenze wieder mehr zahlen. Die Maßnahme zielt also wirklich nur auf Urlauber – und spart diesen jene fünf bis zehn Euro, die sie für Telefonate und SMS nach Hause im Normalfall ausgegeben haben.

Warum kostet Roaming eigentlich überhaupt etwas?

Vereinfacht gesagt: weil es den Anbietern möglich ist. Rein von der technischen Seite lässt sich jedenfalls kein relevanter Mehraufwand argumentieren. Ob jemand mit österreichischer oder niederländischer SIM-Karte in Wien telefoniert oder Daten nutzt – die Kosten für den Betreiber bleiben an sich die gleichen. Dazu kommt, dass praktisch alle Anbieter ohnehin europaweit agieren, es also etwa T-Mobile ein leichtes wäre, allen österreichischen Kunden ohne Zusatzkosten auch vollen Zugang in Deutschland oder den Niederlanden zu bieten. Etwas komplizierter ist es beim Roaming zwischen unterschiedlichen Anbietern, da hier üblicherweise Gebühren anfallen. Da hier aber alle an alle zahlen – also ein gewisser Ausgleich stattfindet –, sollte auch dies keine große finanzielle Hürde darstellen.

Was ist mit regulärer Auslandstelefonie?

Dass das Aus für Roaming-Gebühren vor allem auf Urlauber abzielt, sieht man etwa daran, dass das Gebiet der Auslandstelefonie innerhalb der EU nicht einmal angegriffen wurde. Gemeint sind dabei Anrufe, die vom "Heimatland" (etwa von Wien) ins EU-Ausland (etwa nach Berlin) geführt werden. Würde man einen digitalen Binnenmarkt tatsächlich durchsetzen wollen, sollten auch diese Gespräche auf nationalem Preisniveau geführt werden können. Doch tatsächlich verlangen Mobilfunker für Telefonate ins EU-Ausland noch immer überzogene Gebühren.

Warum ist es billiger, wenn ich von Bratislava statt von Wien aus nach London telefoniere?

Weil sich die Politik – egal ob auf nationaler oder europäischer Ebene – nicht traut, die Gebühren für Auslandstelefonie innerhalb der EU einzuschränken, ergibt sich folgende Absurdität: Will jemand ein Gespräch nach Paris oder Rom innerhalb Österreichs führen, müsste er hohe Gebühren für Auslandstelefonie zahlen. Fährt er aber über die ungarische oder slowakische Grenze, fällt dieses Telefonat unter die Roaming-Regelung – und käme ihm dann um einiges billiger.

Warum hängt das Roaming-Aus mit der Netzneutralität zusammen?

Die EU-Kommission – allen voran die ehemalige Digitalkommissarin Neelie Kroes – wollte unbedingt ein Roaming-Aus erwirken. Dagegen sperrten sich aber die großen Telekomkonzerne. Deshalb schlug sie einen riskanten Tauschhandel vor: Der Wegfall der Roaming-Einnahmen soll durch neue Erschließungsquellen bei einem Wegfall der Netzneutralität wettgemacht werden. Telekomkonzerne sollten Geld dafür verlangen dürfen, bestimmte Dienste besonders schnell durchs Netz zu schleusen. Das EU-Parlament kippte diese Regelung zwar später, dann beharrten jedoch nationale Regierungsvertreter auf einer Aufweichung der Netzneutralität.

Was bedeuten die Verhandlungsergebnisse für Netzneutralität?

Das ist momentan noch unklar. Semantisch ergaben sich jedenfalls gröbere Erklärungsprobleme. So erklärte die deutsche Abgeordnete Petra Kammerevert, alle Daten ("egal ob es das Katzenbild von Oma, ein Spielfilm oder eine E-Mail ist") sollten gleichbehandelt werden. Gleichzeitig würde es Vorfahrt für bestimmte Spezialdienste geben, solange dadurch nicht die "generelle Qualität" der Netzgeschwindigkeit beeinträchtigt werde. Eine Neutralität mit Ausnahmen ist allerdings ein absurdes Konstrukt.

Was hieße ein Aus für die Netzneutralität?

Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Varianten: Einerseits könnten Dienste wie Netflix oder Skype dafür bezahlen, schneller behandelt zu werden (und die Gebühr wohl an ihre Kunden weitergeben). Das wäre aber unfair, da beispielsweise Start-ups dann keine Chance gegen jene Platzhirsche hätten, die Geld an Telekomkonzerne überweisen können. Die EU-Kommission führt etwa "Internet-TV" als Beispiel für Spezialdienste an. Andererseits könnten IT-Dienste an Telekom-Provider zahlen, um vom (mobilen) Datenverbrauch ausgenommen zu werden. Das heißt "Zero-Rating"-Tarif und ist in Österreich etwa bei Drei/Spotify Realität. Laut dem grünen Abgeordneten Michel Reimon werden diese Tarife künftig erlaubt sein.

Wie wird die Abschaffung der Netzneutralität begründet?

Führende Verhandlungspartner wie etwa der EU-Kommissar Günther Oettinger sprechen immer wieder von Telemedizin oder – wie am Dienstag Kammerevert – vom "automatischen Auto-Notruf E-Call". Solche Dienste sollen prioritär behandelt werden können. Allerdings übersehen die Politiker, dass diese Services gar nicht über das "normale" Internet laufen. Wer sich bei der Steuerung eines Atomkraftwerks oder dem Durchführen einer medizinischen Operation über eine normale Internetleitung verbindet, würde bei IT-Experten nur Hohn und Entsetzen auslösen. Es steht also die Befürchtung im Raum, solche Anwendungen wären ein vorgeschobenes Argument.

Wem nutzen die Ergebnisse?

In erster Linie haben die Telekomkonzerne einen klaren Sieg davongetragen. Sie dürfen weiterhin ab einer bestimmten Grenze Roaming-Gebühren einheben, Auslandstelefonie teuer anbieten und zusätzlich mit Spezialdiensten Geld verdienen. Mit Letzterem wurde wohl ein Weg gefunden, am Erfolg der US-amerikanischen IT-Giganten mitzunaschen. Für die Start-up-Kultur und Internetnutzer ist ein Aus der Netzneutralität jedenfalls keine gute Nachricht. In den USA hat die Regulierungsbehörde FCC die Netzneutralität etwa gefestigt. Der "Spiegel" hatte übrigens erst vor wenigen Tagen enthüllt, dass sich EU-Digitalkommissar Oettinger während seiner Amtszeit 44-mal mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden getroffen hat – und nur zweimal mit Nichtregierungsorganisationen.

Wie ist die österreichische Position?

Infrastrukturminister Alois Stöger (SPÖ) zeigte sich mit der Regelung "sehr zufrieden". Das Thema Netzneutralität schnitt er gegenüber der APA nicht an. Währenddessen zeigte sich der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer auf Twitter verärgert. Er werde gegen den Entwurf stimmen.

Der EU-Abgeordnete Paul Rübig (ÖVP) sprach von einem "großen Schritt zur Abschaffung der Roaming-Zuschläge", während Michel Reimon von den Grünen eine "Niederlage des Parlaments" sah. Die Netzneutralität sei laut Reimon "jedenfalls tot". (Andreas Proschofsky, Fabian Schmid, 30.6.2015)