Was fürs restliche Leben empfehlenswert ist, kann auch beim Wandern nicht ganz verkehrt sein: Manchmal ist es sinnvoll, einen Schritt zurück zu machen und die Dinge aus angemessener Entfernung zu betrachten. Oft gewinnt man dadurch erst den nötigen Überblick.

Nehmen wir zum Beispiel die Loferer Steinberge in Tirol und Salzburg: Wer einen ihrer zentralen, großen Gipfel besteigt, ist mitten drin in der kargen Karstwüste. Wie schön und mächtig dieser Berg ist, sieht man nicht, wenn man unmittelbar draufsteht. Da geht man doch lieber etwas auf Distanz!

Die Glocknergruppe vom Tiroler Geierkogel aus gesehen.
Foto: Uwe Grinzinger

Auf das Kirchl (1.691 m) und den Geierkogel (1.753 m) etwa, zwei unscheinbare und stille Vorberge im südlichen Fortsatz der Steinberge. Sie liegen in idealem Abstand zur Loferer Gipfelprominenz und sind gerade deswegen vorzügliche Aussichtsbalkone. Schließlich stellt man sich in der Oper ja auch nicht direkt auf die Bühne, sondern schaut vom Logenplatz zu.

Geringer Höhenverlust

Wir starten unsere Tour in einer der östlichsten Ecken Tirols, nahe Hochfilzen, auf einem Parkplatz zwischen Mitter- und Oberwarming. Von hier geht es auf einer Schotterstraße ziemlich eben nach Nordosten, dann über einen steilen Wiesensteig in den Wald. Eine Forststraße wird mehrmals an den Kehren berührt, eine unscheinbare Kuppe (1.214 Meter) mit rund 20 Meter Höhenverlust überschritten und schließlich der Südrücken des Kirchls bis zu dessen Gipfel verfolgt.

Lichtblick: Vom Geierkogel-Gipfel geht der Blick ungehindert zum Wilden Kaiser
Foto: Uwe Grinzinger

Vor allem in der zweiten Hälfte verläuft der Steig recht steil und direkt. Der Vorteil des südseitigen Anstieges: Er ist oft schon früh im Jahr und bis weit in den Herbst hinein schneefrei. Da wir den schattigen Wald erst unmittelbar unter dem Kirchl-Gipfel verlassen, ist im Sommer auch die Hitze hier heroben einigermaßen erträglich. Allerdings vereitelt der Wald lange Zeit die schöne Aussicht.

Übergang zum Geierkogel

Ganz oben geht dann abrupt der Panorama-Vorhang auf: Vor uns staffeln sich die dunklen Ketten der Kitzbüheler Grasberge, dahinter ragen die Eisriesen der Hohen Tauern auf. Ganz nahe liegt die Buchensteinwand mit ihrem fast 30 Meter hohen und begehbaren Jakobskreuz. Nur zu den Loferer Steinbergen verwehren uns noch ein paar Latschen den Ausblick, da das Kirchl-Gipfelkreuz etwas in Richtung Hochfilzen vorgeschoben ist.

Unverkennbar: der Gipfelstachel des Kitzbüheler Horns, gesehen vom Geierkogel
Foto: Uwe Grinzinger

Wer genügend Kraftreserven hat, sollte daher unbedingt noch den gut halbstündigen Übergang zum benachbarten Geierkogel in Angriff nehmen. Damit handelt man sich zwar insgesamt (hin und retour) noch einmal rund 200 Höhenmeter Gegenanstieg ein, dieser ist aber eine gute Investition: Am Geierkogel stehen die Reifhörner, das Skihörndl, der Traunspitzl und die Ochsenhörner direkt gegenüber – zusammen bilden sie die imposante südliche Wandflucht der Loferer Steinberge. Auch der Wilde Kaiser setzt sich von hier aus betrachtet wesentlich besser in Szene.

Wer sich an diesem beeindruckenden 360-Grad-Panorama satt gesehen hat, steigt am Aufstiegsweg wieder abwärts und kehrt anschließend in einen der Gasthöfe in Hochfilzen oder St. Ulrich am Pillersee ein. (Uwe Grinzinger, 3.7.2015)