STANDARD: Wann ist man Ihrer Meinung nach reich?
Zitelmann: Reich ist, wer von den Erträgen seiner Anlagen leben kann.
STANDARD: Wie viel Vermögen benötigt man dazu?
Zitelmann: Wer monatlich 6000 Euro Nettoeinkommen haben will, braucht dafür 2,4 Millionen Euro. Ich gehe von einer Bruttoverzinsung von vier Prozent aus, wobei nach Steuern etwa drei Prozent übrig bleiben. Mit einer Million Euro ist man meiner Meinung nach noch nicht reich, denn selbst demjenigen, der vier Prozent vor Steuern erzielt, bleiben dann nur 2500 Euro zum Leben. Damit kann man sich bestimmt nicht wie ein Reicher fühlen.
STANDARD: Was sind die typischen Verhaltensmuster nach einem großen Lottogewinn?
Zitelmann: Oft werden teure Konsumgüter wie Luxusautos und Ähnliches gekauft, Geld an Freunde und Verwandte verschenkt. Und das, was angelegt werden soll, wird meist extrem unklug veranlagt. Ein Lagerarbeiter aus Österreich gewann 2001 zehn Millionen Schilling, als er den Jackpot knackte. Er kaufte sich ein Haus mit Heimkino für drei Millionen Schilling. Sieben Millionen legte er auf Empfehlung seines Beraters in hochriskanten Aktien- und Währungsspekulationen mit dem Schweizer Franken an. Nach zehn Jahren war von dem Lottogewinn nichts mehr übrig, sondern er hatte 100.000 Euro Schulden. Leider ist das kein Einzelfall. Die meisten Lotto-Hauptgewinner sind wenige Jahre nach ihrem Gewinn ärmer als zuvor.
STANDARD: Ist das die typische Formel zum Wieder-arm-Werden?
Zitelmann: Leute, die schnell zu Geld gekommen sind, etwa durch ein Erbe oder einen Lottogewinn, machen zwei Fehler: Sie beschäftigen sich nicht selbst mit Geldanlagethemen, sondern vertrauen blind Beratern. Und sie geben zu viel für den Konsum aus, gewöhnen sich damit an einen zu hohen Lebensstandard.
STANDARD: Wie bleibt man reich beziehungsweise kann man den Reichtum noch vermehren?
Zitelmann: Übernehmen Sie die Verantwortung für die Geldanlage, lesen Sie so viele Bücher dazu, wie Sie können. Lesen ist wirklich wichtig. Warren Buffett berichtet: "Als ich zehn Jahre alt war, hatte ich alle Bücher in der öffentlichen Bibliothek von Omaha gelesen, die das Wort 'Finanz' im Titel trugen, und manche davon zweimal." Heute ist er einer der reichsten Männer der Welt.
STANDARD: Wie sollte man den Gewinn veranlagen?
Zitelmann: Legen Sie 90 Prozent des Geldes an, etwa in Immobilien und Aktien, und rühren Sie es zehn Jahre nicht mehr an. Verlassen Sie sich nicht blind auf Berater, egal, ob diese in einer Bank arbeiten oder nicht. Bei Aktien setzen Sie auf sogenannte "ETF", also kostengünstige passive Fonds. Haben Sie den Mut, bei Aktien- und Immobilieninvestments gegen den Strom zu schwimmen. Und denken Sie sehr langfristig bei Ihren Anlagen, damit meine ich: zehn Jahre plus. Zehn Prozent davon sollten Sie auch als Versicherung in Gold anlegen oder als Bargeld im Safe aufbewahren – wer weiß, was alles noch passiert in der Finanzwelt. Und nur mit den restlichen zehn Prozent gönnen Sie sich und anderen etwas Schönes.
STANDARD: Welche Tipps würden Sie einem Lottogewinner sonst noch geben?
Zitelmann: Erzählen Sie niemandem etwas davon, außer Ihrem Lebenspartner – oder geben Sie in Ihren Erzählungen nur zehn Prozent des tatsächlichen Gewinns an.
STANDARD: Wie gelangen Menschen üblicherweise zu Reichtum?
Zitelmann: Die meisten Menschen, die in demokratischen und marktwirtschaftlichen Systemen zu viel Geld kommen, werden als Unternehmer reich. In Ländern wie China und Russland ist dagegen – leider – die Nähe zu den politischen Machthabern ein entscheidender Punkt.
STANDARD: Müssen Reiche den Neid anderer fürchten?
Zitelmann: Der Neid richtet sich merkwürdigerweise am stärksten gegen Unternehmer. Denn über 80 Prozent der Reichen sind Unternehmer, bei den Superreichen sind es sogar 95 Prozent. Eigenartigerweise werden Fußballer oder Popstars weniger stark beneidet, obwohl sie oft sogar mehr verdienen als die Vorstände von großen Firmen. (Sigrid Schamall, 3.7.2015)