
"Ecce Machina" von Tomak. Er fühlt dem eigenen Ich mit Bildern und Texten auf den Zahn und konstruiert es dabei immer neu.
Graz – Immer wieder hebt der Mann ein Zeichenblatt auf, hält es vor sein Gesicht und atmet scharf ein, sodass die dem Zuseher zugewandte Seite kurz an seinem Gesicht haften bleibt. Dann atmet er aus, das Blatt fällt zu Boden, und der Vorgang wird mit dem nächsten Blatt wiederholt. Die Performance 100 Breaths (2003) des Australiers Mike Parr ist ein vielschichtiges Selbstporträt und die einzige Videoarbeit, die in der am Donnerstag eröffneten Ausstellung Das gezeichnete Ich – Zwischen Auslöschung und Maskierung gezeigt wird.
Die Schau zeigt zwölf Positionen zum Thema der Selbstdarstellung und Selbsterforschung. Ein aufgelegtes Thema für das Bruseum, ist doch das Werk von Günter Brus nicht ohne seine Selbstporträts zu denken.
Aber kurz zurück zu Parrs hundert Atemzügen. Der 1945 Geborene ist für weit radikalere Performances bekannt – eine, bei der er versuchte, 24 Stunden durchzu-lachen, stürzte ihn in eine tiefe Sinnkrise. Danach fand er zu Radierungen und Holzschnitten, eine Auswahl davon ist nun im Bruseum zu sehen. Doch das Video nimmt gleich beide in der Ausstellung erörterten Aspekte mit: den der Maskierung, wenn er sich die Zeichnungen wie Masken an sein Gesicht saugt, und den
der (beinahe) Auslöschung. Denn Parr atmet während des Films tatsächlich für jedes Blatt einmal ein. Wird der Vorgang unterbrochen, gerät er tatsächlich in Atemnot.
An seine Grenzen stieß bekanntlich auch Günter Brus, nach Jahren radikaler Körperarbeiten markierte die Zerreißprobe 1970 hier ein Ende.
Brus war mit dieser Art des Selbstporträts nicht allein. "In den 1960er-Jahren begannen die Künstler ihren Körper aufzureißen", erzählt Bruseum-Kurator Roman Grabner, "um zu schauen, was drinnen ist." Von Brus gibt es aber freilich auch unzählige gezeichnete Selbstporträts, die markanten, dürren Schädel, die immer wieder auftauchten.
Das ausgebeutete Ich
"Warum stellte sich ein junger Künstler in den 1960er- und 1970er-Jahren so morbid dar", fragt Grabner und findet die Antwort in der nächsten Künstlergeneration. Auch heute tauchen Bilder der sich selbst ausbeutenden Künstler auf, "die mit 30 eine Entlastungsdepression und mit 40 den ersten Herzinfarkt haben".
Dabei beuten sie sich nicht nur selbst aus: Thomas Palme (Jahrgang 1967), der stark von Brus beeinflusst ist, stellt sich gerne selbst mit nacktem, pornografisch posierendem Frauenkörper dar – als "Künstlerhure" . In der Schau sind Palmes Zeichnungen gegenüber von Brus-Zeichnungen aus den 1980ern auf die Wand genagelt. Palme zeichnet täglich wie manisch, was die Flut der teils schmerzverzerrten, oft auch humorvollen Ich-Bilder fast einschüchternd dokumentiert.
Ähnlich manisch, aber viel konstruierter sind die Arbeiten von Tomak, der sein gezeichnetes Gesicht immer wieder in verschiedene Texte, die wie Gebrauchsanweisungen anmuten, einbaut und auch seinen Künstlernamen immer wieder abändert. Er brachte auch ein Einmach-Ich, eine zerrissene Zeichnung im Einmachglas, mit. Sechs Bilder machte er eigens für die Grazer Schau.
Zwei Frauen, von denen für Grabner eine, nämlich die 2014 verstorbene Maria Lassnig, der anderen, der 55-jährigen Nicola Tyson, quasi künstlerisch die Fackel übergeben hat, hängen sich wie Palme und Brus gegenüber. Unglaubliche 60 Jahre beschäftigte sich Lassnig mit Selbstporträts. In ganz frühen skizziert sie sich als Zitrone, in anderen in amorphen Formen, die für das Innenleben stehen.
Auf sein Innenleben konzentriert sich auch der 1976 geborene Franzose Guillaume Bruère, der sich dabei mal als Kartoffel, mal als Tannenbaum oder aber ganz in seinem mit Verlustängsten gefüllten Gedärmen verewigt. In einem anderen Bild seines asymmetrischen, mit großer Farbigkeit und Finesse gezeichneten Gesichts starrt den Betrachter sein Auge scharf an, während sich sonst alles auflöst.
Ganz anders die aus der Architektur kommenden Max Peintner und Walter Pichler. Vom 2012 verstorbenen Pichler sind Körper wie Häuser skizziert – darin wohnen Angst und Einsamkeit. Peintner spart den Kopf, den man selbst immer nur spiegelverkehrt sieht, aus und beruft sich dabei auf Ernst Mach und Caspar David Friedrich. Der restliche Körper erobert den Raum: etwa wenn er als Christus den eigenen Sargdeckel mit den Beinen wegdrückt. (Colette M. Schmidt, 3.7.2015)