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Am 19. Juni versammelten sich Hunderte zur Trauerfeier in Charleston.

Foto: Reuters/Brian Snyder

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Am 27. Juni holte die afroamerikanische Aktivistin Bree Newsome die Südstaatenflagge vor dem South Carolina State House vom Mast. Ihr droht mehr als ein Jahr Haft.

Foto: Reuters/Adam Anderson photos

Barack Obama. Er ist wohl weltweit einer der bekanntesten Präsidenten. Viele Menschen kennen ihn und waren positiv überrascht, als er von der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung 2008 zum 44. Staatsoberhaupt gewählt worden war. Bereits bevor Obama am 20. Jänner 2009 eingeschworen wurde, begannen manche Amerikaner und US-Medien von einer "post-racial society" zu sprechen: Da nun die USA einen schwarzen Präsidenten in ihrem bis dato schneeweißen Präsidentenverzeichnis hat, wäre das der Beweis, dass Rassismus und Diskriminierung der Vergangenheit angehören und man nun unbesorgt und farbenblind in eine Zukunft blicken könne, in der alle Amerikaner gleich behandelt würden.

Hört sich in der Theorie gut an. Wie sieht aber die Realität für Afroamerikaner aus, seit Obama im Amt ist? Die Polizeigewalt gegenüber schwarzen Teenagern, Männern und Frauen scheint stetig zuzunehmen. Es vergeht kein Monat, in dem man nicht hört, dass eine unbewaffnete afroamerikanische Person von Polizisten getötet wird.

Weißer Terror

Am 17. Juni 2015 spazierte der 21-jährige Weiße Dylan Roof in die Emanuel African Methodist Episcopal Church, die älteste schwarze Kirche im Süden der USA (gegründet 1817), und setzte sich zu den Gläubigen, die sich an diesem Abend zur üblichen Bibelstunde eingefunden hatten. Rund eine Stunde lang las Roof mit Pastor Reverend Clementa Pinckney und den zwölf afroamerikanischen Anwesenden aus der Bibel. Am Ende erhob sich der 21-Jährige und sagte "Ich bin hier, um Schwarze zu töten", bevor er gezielt in die Gruppe schoss. Nur drei der Anwesenden überlebten den rassistischen Terroranschlag.

Stunden später wird der Todesschütze festgenommen. Man sieht Bilder in den Medien, wie er, mit einer kugelsicheren Weste bestückt, zu einem Polizeiauto geführt wird. Obama redet von der Dringlichkeit schärferer Waffengesetze. US-Medien und weiße Amerikaner sprechen von einer Tragödie, von einem jungen Weißen, der aus zerrütteten Familienverhältnisse kommt und in die rechte Szene abgerutscht sei. Manche nehmen den Begriff "Hate Crime" in den Mund. Aber für die afroamerikanische Bevölkerung war das Attentat auf die Emanuel African Methodist Episcopal zu Recht mehr als nur ein Verbrechen aus Hass. Roof erzählte einem Freund, dass er einen "Rassenkrieg" starten wollte. Einen Krieg, der Weiße gegen Schwarze aufhetzen sollte.

Die Frage stellt sich, warum die Mainstream-Medien in den USA dies nicht so berichten beziehungsweise nicht so argumentieren.

Weißes Privileg

"White privilege", das weiße Privileg, das auf alle Weißen global, aber in diesem Fall auch auf die weiße amerikanische Bevölkerung zutrifft. Weiß zu sein bedeute demnach, dass man automatisch mit gewissen sozialen, politischen, und ökonomischen Privilegien durch sein Leben schreiten könne.

Das Privileg zeigt sich dadurch, dass ein weißer Terrorist in den Medien als "Bub" und "mental krank" bezeichnet wird. Im Vergleich wurde der unbewaffnete 18-jährige Michael Brown, der im August 2014 in Missouri erschossen wurde, als "Mann" und "gewalttätig" bezeichnet ebenso wie der unbewaffnete 17-jährige Trayvon Martin, der im Februar 2012 von einem Nachbarschaftswachmann erschossen wurde. Ein bewaffneter Weißer wird in US-Medien als mental instabil bezeichnet, während schwarze Teenager, die auf der Straße spazierten, als "angsteinflößend" und "unberechenbar" dargestellt werden.

Streit um die "Südstaatenflagge"

Das weiße Privileg, das von vielen Weißen in den USA nicht angesprochen oder thematisiert wird, spiegelt sich auch in den Geschehnissen seit dem Terroranschlag wider. South Carolina ist einer jener südlichen Bundesstaaten, der nach wie vor die Confederate Flag, also die Fahne der Konföderierten Staaten von Amerika, zur Schau stellt. Diese Fahne steht für weiße Südstaatler als ein Synonym für Stolz und Zugehörigkeit. Wenn man sich aber nur ein wenig mit der Geschichte der USA auseinandersetzt, ist nicht schwer zu erkennen, dass diese Fahne für die Instandhaltung weißer Vorherrschaft steht, für die Diskriminierung und gegen die Integration von Schwarzen in die amerikanische Gesellschaft.

Die Konföderierten Staaten spalteten sich bewusst von dem Rest der USA ab, weil sie die Sklaverei bestehen lassen wollten. Nicht ohne Grund wird diese Fahne auch von vielen Neonazigruppen und in der rechten Szene verwendet. Sie steht für den "weißen Stolz", einen Stolz, der rassistisch motiviert ist. Der (noch immer bestehende) Ku-Klux-Klan bat vor einigen Tagen um Erlaubnis, am 18. Juli vor Charlestons Kapitol gegen eine mögliche Entfernung der Fahne der Konföderierten zu protestieren und erwartet rund 200 Teilnehmer. Das allein sagt schon viel über die wahre Bedeutung der Fahne aus.

Weitere Anschläge auf Kirchen

Der gerechtfertigte Schmerz der afroamerikanischen Bevölkerung ist fühlbar, zumindest für die Menschen, die verstehen, wie real und tiefsitzend der Rassismus in den USA nach wie vor ist. In den Wochen seit dem Anschlag auf die Emanuel-AME-Kirche standen sechs schwarze Kirchen in verschiedenen Südstaaten in Flammen. Bei drei davon wird Brandstiftung als Ursache angegeben, die Untersuchungen bei den restlichen Bränden laufen noch. In den US-Medien wird kaum darüber berichtet.

Kirchenbrände als Zeichen des Hasses sind in der Geschichte der USA nichts Neues. Zu Zeiten der Bürgerrechtsbewegung wurden schwarze Kirchen häufig von Weißen in Brand gesetzt oder mit Bomben zerstört. Im 19. Jahrhundert war dies ebenso der Fall, vor allem wenn sich schwarze Pastoren gegen die Sklaverei und für die Bürgerrechte von Afroamerikanern ausgesprochen hatten. Auf Facebook las ich einen Post, in dem stand: "Als im Mai in Baltimore Unruhen ausbrachen, nachdem der Schwarze Freddie Gray nach seiner Verhaftung in Polizeigewahrsam starb, haben alle US-Medien Bilder eines brennenden CVS (Pharmaziegeschäft, Anm.) gezeigt, das von den meist schwarzen Demonstranten in Brand gesetzt wurde. Wenn sechs schwarze Kirchen brennen, kümmert es keinen."

Die "farbenblinde" Gesellschaft?

Charleston, South Carolina, dient als Beispiel dafür, wie falsch die weiße Bevölkerung mit ihrer Überzeugung liegt, dass die USA eine farbenblinde und gerechte Gesellschaft geworden sind. Nicht einmal in Kirchen ist die schwarze Bevölkerung vor den tödlichen Folgen des Hasses sicher. Roof wurde von den schwarzen Gläubigen am 17. Juni mit offenen Händen empfangen. Er saß für eine Stunde mit ihnen zusammen. Dann erhob er sich und begann damit, diese Menschen gezielt zu erschießen.

Die Gesten der Bibelrunde von Offenheit und Nächstenliebe wurden mit einem rassistischen Terroranschlag beendet. Wo ist die Offenheit und Nächstenliebe von Amerikas weißer Bevölkerung? Wo wird die Menschlichkeit der afroamerikanischen Bevölkerung in den US-Medien widerspiegelt? Wo bleibt der Aufschrei, wenn schwarze Kirchen gezielt in Brand gesetzt werden? Wann wird eine ehrliche Diskussion stattfinden, in der die weiße Bevölkerung sich mit den rassistischen Wurzeln ihres Landes auseinandersetzt und als Alliierte der schwarzen Bevölkerung gegen diese Ideologie der weißen Vorherrschaft ankämpft? Die Worte der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, dass jedermann Anspruch auf Freiheit und Gerechtigkeit hat, sind nach wie vor leer und bedeutungslos für die schwarze Bevölkerung des Landes. (Johanna Ortner, 7.7.2015)