André Schwämmlein erscheint pünktlich zum Interviewtermin in aller Herrgottsfrüh an der Wirtschaftsuniversität Wien. Angereist ist er mit dem Flixbus: "Das eigene Produkt testen." Ein gut gelaunter Jungunternehmer, der den Studierenden sein Rezept in Sachen Start-up erklären wird. Kurz gesagt, lautet es so: "Es ist egal, ob Sie im Internet Schuhe oder Busreisen verkaufen." Dass er verkaufen kann, hat der Chef des mittlerweile mit dem Berliner Start-up MeinFernbus fusionierten Münchner Flixbus bereits bewiesen.

Bus statt Bahn – Die Fernbusse erobern Europas Verkehrsnetz.
Foto: Usslar

MeinFernbus/Flixbus mischt von Deutschland aus den Fernbusmarkt auf. Seit 2013 dürfen die Fernbusse dort Strecken bedienen, die bis dahin der Deutschen Bahn vorbehalten waren. Der Markt hat sich seither rasant entwickelt. Es gibt 264 Linien, mit den Bussen kommt man quer durch Deutschland – nicht in die allerentlegensten Ecken, aber etwa auch an Urlaubsorte an der Ostsee. "Die Kunden nehmen das gut an, der Markt hat noch Spielraum nach oben", sagt Christoph Gipp, Geschäftsführer des Bereiches Mobilität beim deutschen Marktforscher IGES.

20 Millionen Menschen fuhren 2014 mit einem der Fernbus-Anbieter, die Bahn transportierte im selben Zeitraum 131 Millionen Passagiere. In diesem Jahr könnte die 30-Millionen-Marke geknackt werden. Apropos Bahn: Die Streiks der Lokführer haben im vergangenen Jahr den Fernbussen jede Menge Neukunden beschert. Bewegung gibt es aber auch im Markt selbst. Die beiden fusionierten Branchenriesen MeinFernbus und Flixbus beherrschen jetzt 75 Prozent des Marktes, einige der ersten Anbieter (ADAC, city2city) haben aber schon wieder aufgegeben.

Günstige Preise als Motiv

In Österreich ist man von einem derart explosionsartigen Zuwachs weit entfernt. Ähnlich wie die Schweiz versucht auch Österreich Bewerber mithilfe des Gesetzes von den Straßen fernzuhalten. Nimmt man die Daten des Busvergleichsportals CheckMyBus ernst, standen 2014 den Kunden in Deutschland rund einhundertmal so viele Verbindungen wie in Österreich zur Verfügung. Hierzulande werden knapp 200 angeboten, dazu kommen rund 1.200 für Reisen in Nachbarländer wie Deutschland, Italien, Tschechien oder Ungarn.

Vergleichbar sind hingegen die Motive derer, die sich für eine Reise mit dem Bus entscheiden: vor allem der – im Vergleich zu Bahn und Auto – günstige Preis. Wobei dieser sich, ähnlich wie bei Billigairlines, durchaus unterschiedlich gestaltet, sagt Andreas Oswald von CheckMyBus. "Jeder hat ein eigenes Geschäftsmodell. Der eine ist bei Ein-Monats-Vorausbuchung am billigsten, der andere bei der einwöchigen Vorausbuchung." Laut CheckMyBus-Berechnungen fahren die Deutschen billiger Bus. Der durchschnittliche Preis für Auslandsverbindungen von Österreich auf den zehn beliebtesten Strecken liegt demnach bei 7,8 Cent pro Kilometer. Auf Verbindungen innerhalb des Landes kommt man auf 13,2 Cent – zweieinhalbmal mehr als im liberalisierten Nachbarland.

"Dafür sind die Bahnpreise in Deutschland um zwei Drittel höher als hierzulande", wendet Sebastian Kummer, Leiter des Instituts für Transport & Logistik an der Wiener Wirtschaftsuniversität, ein. In Österreich mangle es auch an lukrativen Strecken, sagt er.

Deutsche bringen Bewegung

Bewegung bringen die Deutschen dennoch nach Österreich. Wie in Deutschland via Buspartner. Die steigen auch bereitwillig ein – aus gutem Grund: "Die Neuen haben es geschafft, klarzumachen, dass der Bus ein junges, dynamisches Angebot ist", sagt Ludwig Richard, Chef des Wiener Busunternehmens Dr. Richard. Im November vergangenen Jahres startete Dr. Richard unter der deutschen MeinFernbus-Flagge sechsmal täglich zwischen Graz und Wien.

Gestartet wurde mit drei Bussen, im Februar wurde das Angebot verdoppelt. Ab neun Euro ist man dabei, wer ein Sparschiene-Ticket der ÖBB erwischt, zahlt allerdings auch so viel. Flixbus kooperiert auch mit dem Westbus und dem burgenländischen Busunternehmer Blaguss. Thomas Blaguss sieht das Gute an der Sache: "Die Preise werden noch günstiger, die Qualität wird verbessert."

Die Traditionsunternehmen diverser Länder könnte es aber noch kräftig erwischen, sagt Blaguss, der auch unter der Eurolines-Flagge fährt: "Mit den neuen Playern können sie oft schon geschwindigkeitsmäßig nicht mit."

Eurolines, ein Traditionsverbund europäischer Anbieter, dessen Zweck die fahrplanmäßige Abstimmung und gemeinsame Aktionen sind, gerät kräftig unter Druck, sagt Blaguss. Das Problem: "Es gibt ein Mitglied pro Land, vielfach sind das Staatsunternehmen. Eine Abstimmung dauert oft ein Jahr, Flixbus genügt eine Woche. Die Etablierten stehen erstarrt wie die Maus vor der Katze." Vor der Liberalisierung in Deutschland hatten die Eurolines geschätzte 60 bis 70 Prozent des Marktes in Europa, sagt Blaguss, "jetzt schmilzt das sekündlich".

André Schwämmlein steht der Sinn weiter nach Wachstum. Man sei bereit und warte auf die schrittweise Liberalisierung in den europäischen Netzen. Anbieter wie Dr. Richard sehen dabei nicht tatenlos zu. Wenn in Österreich der Markt schon nicht liberalisiert ist, so will Richard zumindest von der Öffnung in Deutschland profitieren. An MeinFernbus Flixbus hält er einen kleinen Anteil. Über seine Münchener Tochter Albus steuert er mittlerweile 45 Busse bei, gestartet ist er vor drei Jahren mit vier. "Wir könnten wachsen und wachsen." Dass mit dem Wachstum automatisch das große Geschäft einhergeht, liegt aber für Richard keineswegs auf der Hand: "Jetzt beobachten wir einmal."

Graz – Wien: Wie auch im Zug, das WLAN stottert.
Foto: Plankenauer

In der Beletage nach Wien

Seit Ende des Vorjahres wird die Strecke Graz–Wien alternativ zur Bahn mit einer Buslinie bedient. Fazit einer Testfahrt: Man reist zu Dumpingpreisen relativ bequem, schnell, mit Filmangebot an Bord – nur das WLAN stottert.

Von Walter Müller

Eine der ersten Busfahrten war auch gleich die einprägsamste. Die Eltern nahmen uns mit auf eine Fahrt ins damals noch kommunistische Ungarn. Der Kollateralnutzen solcher Reisen: Es gab dort überdimensionale Krapfen und Torten zu unterirdisch niedrigen Preisen.

Auf der Rückfahrt fiel ein vergnügter Passagier mittleren Alters auf. Er platzierte sich direkt hinter dem Buschauffeur und unterhielt die Fahrgemeinschaft weintrunken mit allerlei Späßchen. Allmählich wurde sein Lachen immer leiser, und wie aus dem Nichts fiel ihm das zuvor im grenznahen Gasthaus genossene Pörkölt aus dem Gesicht und direkt in den Kragen des Fahrers. Mit unglaublicher Disziplin hielt der Buschauffeur heldenhaft das Lenkrad fest, und es dauerte gefühlte Stunden, ehe er einen Parkplatz ansteuern und sich einer Reinigung unterziehen konnte.

Aussicht Richtung Lärmschutzwand: Busfahren hat sich verändert.

Diese Kindheitserinnerung im Kopf, steige ich morgens um sieben Uhr in der Grazer City am Jakominiplatz in den "Dr.-Richard-Fernbus". Mit dem beruhigenden Wissen: Die Zeiten haben sich geändert, es gibt neue, moderne Busse, und so früh am Morgen haben die Fahrgäste sicher nicht mehr als einen Kaffee im Magen. Und zudem gibt's ja ein WC an Bord, falls jemand doch mit der Peristaltik zu tun hat. Ein mausekleines zwar, wie sich später herausstellt, aber immerhin.

Die erste Erfahrung: Leider zu spät gekommen. Der Stockbus ist ziemlich voll, die Profis waren schon früher da und haben die bequemen Sitze mit den Tischen im unteren Teil besetzt. Es hat die entscheidende Information gefehlt: Im Fernbus gilt freie Platzwahl, Sitzplätze können nicht reserviert werden.

Auf dem Oberdeck, der Beletage sozusagen, ist hinten in der vorletzten Reihe noch eine Zweierbank frei. Der Sitz ist relativ bequem, Menschen mit mehr als 1,90 Metern Körperlänge werden freilich energisch widersprechen. Und: Bei entsprechend fülligem Sitznachbarn wird's eng. Gut, um neun Euro kann man kein Entspannungssofa verlangen. Der Ordnung halber: Neun Euro ist der Einstiegspreis bei rechtzeitiger Buchung. Das geht rauf bis 18,50 Euro. Ein Schnäppchen im Vergleich zur ÖBB-Karte um 36,70 Euro. Allerdings muss hier zur Ehrenrettung der ÖBB hinzugefügt werden: Die Bundesbahnen verfügen mittlerweile auch über eine "Sparschiene" und bieten für lang vorher gebuchte Fahrten Tickets ebenso ab neun Euro an.

Der Fernbus transportiert in der Woche rund 6.000 Fahrgäste nach Wien und retour. Alle zwei Stunden fährt ein Bus, am Wochenende öfter – um exakt 19 Minuten schneller als die Bahn.

"Ja schon, aber ...", wirft ÖBB-Pressesprecher René Zumtobel ein: "Die Vorteile der Bahn liegen auf der Hand: mehr Sitzplätze, mehr Bewegungsfreiheit, Bordrestaurant im Railjet mit warmen Speisen und kühlen Getränken. Wir bieten täglich 16 Zugverbindungen im Ein-Stunden-Takt zwischen Graz und Wien an."

Eh. Die ÖBB muss sich aber gar nicht aufplustern. Es nimmt ihr ohnehin niemand was weg. Bei Dr. Richard hat man die Fahrgäste befragt, nur ganz wenige sind bisher mit der Bahn gefahren. Man habe vielmehr völlig neues Publikum gewonnen, sagt Betriebsdirektor Werner Gumprecht. Ein gutes Drittel seien zusätzliche Gäste, die noch nie oder kaum Bus gefahren sind. Und um diese zu locken, bietet der Fernbus unter anderem auch WLAN an.

Hier steht aber noch mehr der Wille fürs Werk. Denn nach ersten holprigen Einstiegsversuchen ist bald klar: Wenn sich mehrere gleichzeitig einloggen, ist es aus mit Online und E-Mail-Checken.

"Wir sind ja selbst verärgert, aber diese Boxen aus Dänemark sind leider nicht das Gelbe vom Ei. Wir haben nun begonnen, die Multimediastationen auszutauschen", sagt Gumprecht.

Was aber tadellos funktioniert, ist neben dem Getränkeservice das zwar bescheidene, aber sehr bemühte Filmangebot, das in der nächsten Zeit auf 120 Filme aufgestockt werden soll. Die Fahrt nach Wien reicht locker, um etwa mit "Silver Linings" – sogar im Originalton – die Zeit zu vertrödeln.

Nach zwei Stunden taucht der Bus in den Wiener Stadtverkehr ein. Von oben betrachtet, lässt einen die Autohölle ringsum sowas von kalt. Der Bus stoppt direkt am Westbahnhof. Aussteigen, runter zur U3. Pünktlich zur Konferenz angekommen. Resümee: Relativ bequem und entspannt ans Ziel gekommen. Und: Das Kindheitstrauma abgelegt.

Rätsel auf der Autobahn – Fernbusreisen Richtung Zagreb

Summersplash, eine Frau in den Wehen und ein singender Busfahrer

Mit dem Fernbus Richtung Zagreb.

Von Maria von Usslar

Auf den traditionellen Routen nach Osteuropa scheint der Fernbusboom wenig eingeschlagen zu haben. Das Ticket ist seit zwei Jahrzehnten unschlagbar günstig, dagegen sind die Busse inzwischen ein wenig komfortabler, aber man erlebt auch heute noch so einiges unterwegs.

Worst Case: Es naht das lange Wochenende, der bisher heißeste Tag des Jahres auch, und der Bus nach Zagreb ist voll ausgebucht. Zudem will eine Schulklasse ihren "Summersplash" (Dauerparty für Maturanten an beliebigen Touristenorten) im hinteren Teil des Busses einleiten. Der Busfahrer startet pünktlich den Motor und das Radio. Als "Dangerous" von David Guetta erklingt, steigt der Busfahrer in den Refrain ein. Selbst in der ersten Reihe gibt es also keine Ruhe.

derstandard.at/von usslar

Der Bus, der Wien täglich um acht Uhr verlässt, wechselt ständig seine Farbe. Seit sich der deutsche Busanbieter Flixbus/MeinFernbus in das Geschäft von Blaguss/Eurolines eingeklinkt hat, bucht man das Ticket bei dem einen Unternehmen und es fährt ein Bus vom anderen vor – oder andersrum.

Abgesehen von vereinzelten Touristen und der Schulklasse steigen an diesem Mittwoch viele Kroaten in den Bus, um das lange Wochenende im Haus an der Küste zu verbringen, oder etwa auf einer Hochzeit von Verwandten zu tanzen. Die Maturaklasse hat sich für das Verkehrsmittel aufgrund des Preises entschieden: "Allein die Zugfahrt nach Zagreb wäre doppelt so teuer wie der gesamte Trip über Zagreb nach Split gewesen", sagt die 19-jährige Sarah. Damit sie mit ihren Freundinnen zusammensitzen kann, haben sie die letzte Reihe gewählt und bereuen es schnell. Während es in den vorderen Reihen konstant 22 Grad hat, wird es hinten schwül und stickig.

Frühmorgens und Nachts – die Fernbusse fahren.
Foto: Maria von Usslar

Das Klo müffelt überraschend wenig. Bei der Raststätte stellt sich heraus, die Passagiere haben es sich wohl alle verkniffen, dementsprechend lang ist die Schlange. Ein rot angelaufener Italiener aus einem anderen Bus schiebt seine schwangere Frau an den Wartenden vorbei und setzt sie auf eine Kloschüssel mit den Beinen nach oben. Es soll bitte jemand die Rettung rufen, sie habe wehenartige Krämpfe und kollabiere gleich. Die Pausenzeit ist vor zwei Minuten abgelaufen, der Fahrer hat seinen Finger bereits auf dem Türschließerknopf. Verspätungen sollen wohl eher ein Thema der Bahn bleiben. Da die Rettung noch nicht eingetroffen ist, übergibt eine Mitfahrerin das Hilfskommando dem Raststättenpersonal und eilt in den Bus.

Nach einer holprigen Passage auf Landstraßen durch Slowenien – Sitznachbarin Luise vermutet darin Kalkül der slowenischen Regierung, deren Straßen nicht nur zum Durchfahren gemacht sein sollen – wird die Fahrt angenehm ruhig. Luise löst ein Kreuzworträtsel in Lichtgeschwindigkeit: "Das hab ich beim Busfahren gelernt." Die Maturanten spielen Schnapsen, "Stadt, Land, Fluss" oder ein Abzählspiel, das die Zukunft von abergläubischen Teenies vorhersagen soll, sie nennen es "Worst Case".

Als der Bus die kroatische Grenze erreicht, findet der Busfahrer den Radiosender seines Vertrauens und somit wieder gefallen an der Musik. Wir erreichen Zagreb und eine Außentemperatur von 31 Grad. Fünf Stunden Wien – Zagreb im Zeitraffer.