Eine große Sprachbehutsamkeit zeichnet die Texte von Carolina Schutti aus.

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Besonders freue sie sich, "in Österreich nun endlich an die Oberfläche gespült zu werden", erklärte die Innsbrucker Autorin Carolina Schutti, als sie mit ihrem Roman Einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein als Österreich-Gewinnerin des diesjährigen Literaturpreises der Europäischen Union bekanntgegeben wurde. Seit 2009 wird er von der Europäischen Kommission vergeben, um Vielfalt und Austausch der nationalen Literaturen Europas zu fördern.

Diesem Grenzen überschreitenden Gedanken verbunden, würdigte die Jury an Schuttis Roman, dass er "gänzlich unpolitisch und doch sehr hellsichtig die Situation von Vertriebenen" beschreibe. Obwohl migrationshintergründig, stehen jedoch vielmehr familiäre Friktionen im Vordergrund des eher schmalen Bändchens.

Hauptfigur der 150 Seiten ist Maja. Seit dem Tod ihrer Mutter lebt sie bei der Großtante, die darauf "achtet (...), dass das Kind wachsen kann, dass es sauber ist und satt". Vom Fragen aber wird man nicht satt, und so weiß Maja nichts über ihre Herkunft. Zudem hat sie mit der Mutter auch ihre weißrussische Muttersprache verloren, Unbehaustheit geht bei Schutti immer mit Sprachlosigkeit einher. Nach Jahren des Vergessens, Verdrängens und Entwurzeltseins macht Maja sich auf die Suche nach ihrer Familiengeschichte – um einen "Hintergrund" zu finden, "vor dem sich etwas hätte abspielen können".

Autobiografischer Hintergrund

Der Hintergrund für den Roman ist mitunter ein autobiografischer. Schutti musste, obwohl 1976 in Innsbruck geboren, mit Kindergarteneintritt auf Deutsch umlernen. Bis dahin hatte sie nur Polnisch gesprochen, ihr Mädchenname verrate mehr darüber, deutet sie an. Bis heute hat sie die Sprache ihrer Kindheit nicht wiedererlangt, wie sie bedauert.

Stattdessen suchte Schutti andere Wege, sich mitzuteilen, und studierte Germanistik, Anglistik, Konzertgitarre und Gesang. Von Letzterem hat die Interpretin für alte Musik (mit ihrem Mann, dem Komponisten Ralph Schutti, agiert sie als Electric Lute Project) Atmung und Körperspannung gelernt, die sie innerlich auch beim Schreiben einnehme. Was es bedeute, einen Text zu bauen, hat sie hingegen bei der Arbeit an ihrer Dissertation über Elias Canetti erfahren: Wenn man an irgendeiner Stelle in den Text hineinstechen könne und dabei eines zum anderen führe, sei er durchdacht. Gesagt, getan!

Prosa ohne Schnörkel

Drei Bücher hat die vormalige Universitätslektorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Literaturhaus am Inn in den letzten Jahren veröffentlicht, dazu kommen Hörspiele und Publikationen in Zeitschriften und Anthologien. Ihr Stil ist klar und präzise, ihre Sprache ebenso knapp wie der Umfang der Texte. Diese leichtgängige Prosa kennt keine Schnörkel und ist trotzdem nicht spröde. Einige Auszeichnungen hat ihr das bisher eingebracht, doch nicht den Durchbruch. "An die Oberfläche gespült zu werden" bedeutet also nicht zuletzt: in den Handel, wo ihre Bücher bisher nur bedingt vorrätig sind. Woran das liegen könnte? Oft komme es vor, dass ihre Romane als "leise" bezeichnet werden, sagt Schutti – vielleicht wurden sie deshalb vom Markt bisher oft überhört.

Doch wenn auch "leise", was hier so viel bedeuten mag wie: unaufgeregt und bedacht, sind sie keineswegs still. Hinter der äußeren Ruhe tobt es. Denn Schutti braucht nicht viele Wörter, um von Entwurzelung und Unbehaustheit zu erzählen. Dabei bleibt sie an den richtigen Stellen vage: Die äußeren Umstände, Orte und Zeiten der atmosphärisch dichten Schilderungen bleiben stets in Andeutungen stecken.

Beklemmende 60 Seiten

Sie sei mehr am "Inneren des Menschen, das über die Jahrhunderte gleich bleibt" interessiert als an der Außenwelt, erklärt sie diesen Umstand, der einen in ihrem neuesten Buch Eulen fliegen lautlos (edition laurin, 2015) besonders gefangen nimmt. Aus der Sicht des schwächlichen und schweigsamen Buben Jakob hintergeht Schutti darin auf beklemmenden 60 Seiten die Idylle eines Familienlebens am Waldesrand. "Einmal täglich schreit die Mutter (...). Dieser eine Schrei muss für alles reichen, denn schlecht hat sie es nicht", schreibt sie schlicht – und einfach mehr als gut!

Stets noch heranwachsend, sind die Protagonisten in Schuttis Büchern doch alle schon beschädigt durch ihre Familiengeschichte, die sie nicht aus dem Würgegriff entlässt. Das ist auch in ihrem Romanerstling Wer getragen wird, braucht keine Schuhe (Otto Müller, 2010) so. Als roter Faden bindet dieser Umstand das bisherige Werk der Autorin zur heimlichen Trilogie über den Kampf des Menschen, sich selbst zu befreien.

Heimat sei "mehr als Herkunft", meint Schutti. Sie sei ein "in sich Ruhen". Wenn dem so ist, hat Schutti in der Literatur definitiv eine Heimat gefunden – und einen Platz verdient. "Mit so einem Satz lässt sich einiges machen. Es gibt Sätze, die halten viel aus, viel mehr als Menschen", schreibt sie. Schuttis Sätze halten tatsächlich viel aus, nichts an ihnen ist banal. Sie sind bedrückend, weil sie wahr sein könnten – und dennoch bzw. deshalb eine Freude. (Michael Wurmitzer, 3. 7. 2015)