Wien – Es ist ein warmer Sommertag. Der Kutschkermarkt im 18. Bezirk Wiens – in einer Seitengasse der Währinger Straße gelegen – ist voller Menschen. Sie plaudern, sitzen bei Getränken im Schatten oder kaufen Obst, Gemüse, Käse und andere Leckereien ein.
Wenige Straßen weiter sieht der 18. Bezirk anders aus: Das Kreuzgassenviertel am Ganserlberg wirkt einsam und verlassen; kaum jemand geht über den von der Sonne aufgeheizten Asphalt. Nur Autos, Lkws und die Straßenbahn brausen stetig vorbei. Anders als im Grätzel um den Kutschkermarkt bedürften viele Häuser hier dringend einer Renovierung.
Christine Pont wohnt seit 1971 im Kreuzgassenviertel; im "schönsten Haus in der Antonigasse". Das Paradies, das sich in ihrem Innenhof verbirgt, würde man von der wenig begrünten Straße aus nicht erahnen. Von der Terrasse der Pensionistin führt ein schmaler Weg an einem kleinen Teich, Blumen und Sträuchern vorbei zu einer grünen Wiese. Bäume spenden Schatten. Ponts Hunde Willy und Mali raufen im Gras.
Konstantin, eine 20 Jahre alte Schildkröte, bewegt sich gemütlich an ihnen vorbei und freut sich über zugeworfene Tomatenstücke. Dass Haus und Innenhof gut gepflegt seien, liege daran, dass sie Eigentümerin und Bewohnerin zugleich sei, sagt Pont. Wer ein Gebäude besitzt, aber nicht darin wohnt, dem falle es leichter, es verfallen zu sehen. Immer öfter würden die Gründerzeithäuser im Viertel abgerissen und durch Neubauten ersetzt, erzählt die 69-Jährige.
Das Grätzel ist eine Wohngegend im facettenreichen 18. Bezirk, der etwa auch das noble Cottageviertel, die Universität für Bodenkultur, die Sternwarte und das Schafbergbad beheimatet. Mit zunehmender Gürtelnähe wirkt es immer ausgestorbener: Sanierungsbedürftige Zinshäuser und leere Geschäftslokale prägen das Bild.
Einen Markt gibt es auch in der Kreuzgasse am Johann-Nepomuk-Vogl-Platz – doch er ist nahezu menschenleer. "Es ist ein toter Markt, eine sterbende Gegend", sagt Pont. Sie würde sich wünschen, dass sich im Kreuzgassenviertel eine Initiative ähnlich dem Kutschkerdörf’l gründet, dass sich Grätzelbewohner und Geschäftstreibende engagieren und dass Bezirk und Stadt "Geld in die Hand nehmen", um das Grätzel aufzuwerten.
Am Herzen liegt der Anrainerin auch der Währinger Wasserturm, der sich im Anton-Baumann-Park bei der U6 Station Michelbeuern befindet. Als Teil der Kaiser-Ferdinand-Wasserleitung wurde er im 19. Jahrhundert erbaut, um Währing mit gefiltertem Trinkwasser aus der Donau zu versorgen. 1873 wurde die Leitung stillgelegt und durch die erste Wiener Hochquellenwasserleitung abgelöst. Der Wasserturm verfällt. Pont bemühe sich seit drei Jahren darum, die Stadt darauf aufmerksam zu machen. Bisher habe sie nur erreichen können, dass eine Informationstafel aufgestellt wird.
Die Kreuzgasse verbindet übrigens den Gürtel mit dem Schafberg. Das Grünareal wird von Kreuzgassenviertlern gerne als Naherholungsgebiet genutzt. Dass dort in den letzten Jahr wiederholt Bäume gefällt werden, sorgte immer wieder für Kritik. Dabei handle es sich um Pflegearbeiten, die "im Sinne einer naturschonenden Bewirtschaftung" am Schafberg regelmäßig durchgeführt werden, heißt es aus dem Forstamt (MA49) auf STANDARD-Anfrage. (Christa Minkin, 10.7.2015)