1844 wurden die letzten Riesenalken erlegt. Damals begriff man erstmals, dass der Mensch für das Aussterben einer Tierart sorgte.

Illustration: John Gerrard Keulemans

Elizabeth Kolbert: "Das sechste Sterben: Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt". Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff, € 25,60 / 312 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2015.

Foto: Suhrkamp

Beth Shapiro:"How to Clone a Mammoth: The science of de-extinction". € 18,95 / 220 Seiten, Princeton University Press, Princeton/Oxford 2015.

Foto: Princeton University Press

Wien – Die letzten lebenden Exemplare ihrer Art wurde vermutlich 1844 gesichtet und getötet. Nicht lange zuvor brüteten allein auf Funk Island vor Neufundland noch 100.000 Riesenalken. Doch dann entdeckten Europäer im 16. Jahrhundert die abgelegenen Kolonien der rund 85 Zentimeter großen, flugunfähigen Vögel.

Die Gemetzel, die dann folgten, kann man sich unschwer ausmalen. Die letzten Vögel, die von Menschen erlegt wurden, starben auf der Insel Eldey vor Islands Küste, wie Elizabeth Kolbert in Das sechste Sterben schreibt. Für die Recherchen zu ihrem Buch hat sie auch den Tatort aufgesucht und im Naturkundemuseum Los Angeles sogar eine der Vogelleichen aufgespürt.

Dem grausamen Ende des Riesenalks widmet die US-Wissenschaftsjournalistin ein ganzes Kapitel in ihrem mehrfach ausgezeichneten Buch – nicht nur deshalb, weil der "Overkill" durch den Menschen dem Riesenalk den Garaus gemacht hat. Damals wurde erstmals klar, dass der Mensch am Aussterben schuld war. Ein Zoologe in Cambridge beklagte die Grausamkeit des Hinschlachtens und regte eines der ersten Naturschutzgesetze zum Schutz der Meeresvögel an.

Streit um das Aussterben

Wenige Jahrzehnte zuvor hatte die Wissenschaft noch darüber gestritten, ob es überhaupt ausgestorbene Tierarten gibt, ehe der französische Paläontologe Georges Cuvier für Klarheit sorgte. Er zählte 1812 die Fossilien von rund 100 Arten auf, die nicht mehr existierten. Dass der Mensch am Exitus von Mammut, Mastodon & Co. beteiligt gewesen sein könnte, wollte ihm allerdings nicht in den Kopf.

Heute wissen wir, dass es im Laufe der Erdgeschichte fünf große Massenartensterben gab. Das berühmteste war wohl das vor knapp 66 Millionen Jahren, als die Dinosaurier dahingerafft wurden. Weit schlimmer war jenes vor 252 Millionen Jahren, als vermutlich über 90 Prozent aller damaligen Arten ausstarben.

In diese Reihe stellen Forscher heute das Artensterben, für das Homo sapiens seit einigen Tausend Jahren sorgt und das sich unaufhaltsam beschleunigt. Erst kürzlich kamen Experten im Fachblatt Scientific Reports zu dem Schluss, dass sich die Aussterberate im 20. Jahrhundert durch das Zutun des Menschen um das 114-Fache erhöht hat.

Trotz der Dramatik des Themas ist Kolberts Buch kein bloßer Mahnruf mit erhobenem Zeigefinger. Die Autorin hat akribisch recherchiert, sich an etliche Hotspots des Artensterbens rund um den Globus begeben und mit zahlreichen Experten gesprochen. Herausgekommen ist nicht nur ein höchst relevantes, sondern auch ein extrem spannendes, gut erzähltes Sachbuch, das sich den Pulitzer-Preis 2015 redlich verdient hat.

Eine Mammutaufgabe

Das quasi komplementäre Werk zu Das sechste Sterben erschien einige Monate später – und liegt daher noch nicht in deutscher Übersetzung vor. Seine Autorin ist Beth Shapiro, ihres Zeichens Biologin und Spezialistin für alte DNA an der Universität von Kalifornien in Santa Cruz. Während sich Kolbert mit dem Artensterben der Gegenwart befasst, handelt How to Come a Mammoth davon, wie man dieses Artensterben durch neue gentechnische Möglichkeiten wieder rückgängig machen könnte – und ob man das soll.

Bislang waren die entsprechenden Versuche von wenig Erfolg begleitet: Der Klon eines ausgestorbenen Pyrenäensteinbocks starb ebenso kurz nach der Geburt wie auf ähnliche Weise erzeugte Magenbrüterfrösche. Technische Fortschritte lassen es allerdings nur noch als Frage der Zeit erscheinen, bis etwa der erste Elefant mit Mammut-Eigenschaften geboren wird.

Shapiro erklärt aber nicht nur anschaulich, wie das funktionieren kann. Sie liefert auch die wichtigsten ethischen und ökologischen Argumente für eine Debatte, die uns in den nächsten Jahren gewiss noch bevorstehen wird. (Klaus Taschwer, 4.7.2015)