Bunt, aber nicht sehr flott inszeniert – der "Barbier".

Foto: Styriarte

Graz – Nur ein paar Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, zwischen Wiesen, Wohnbauten und Fabriksgebäuden, wird in Graz auch Kultur produziert: In der Helmut-List-Halle nistet sich im Sommer die Styriarte ein. Mit Rossinis Barbier von Sevilla wird heuer der Versuch unternommen, die Grazer zum Lachen zu bringen. Nicht zum ersten Mal: 1819 erlebte die Oper in Graz ihre deutschsprachige Erstaufführung. Rossinis Tonkunst, die "den Namen Musik nicht verdient", sei eine "schleuderische Arbeit", eine "Missgeburt", vermerkte ein Rezensent. Glaube nie einem Kritiker. Die Musik ist allerdings das Beste in dieser Produktion, Michael Hofstetter macht das ganz famos. Der Chefdirigent von recreation Orchesters hat mit dem Styriarte-Festspiel-Orchester im letzten Jahr ein XL-Originalklangensemble ins Leben gerufen. An den Stimmführerpulten (die Ersten Geigen sind zehnfach besetzt) sitzen Fachkräfte des historisch informierten Musizierens, die den Recreationisten vorgestriges Musizieren gegenwärtig machen.

Und so wird von Orchesterseite frisch aufgespielt, atmend und feingliedrig, wenn auch nicht immer mit der allerletzten Präzision. Hofstetter liebt Gegensätze: Gern wird flüsternd musiziert, wie auf Zehenspitzen; speziell bei den Aktfinalen dreht der Bayer dann aber auf und lässt es ordentlich krachen – auch mit Unterstützung der famosen Herren des Konzertchors der Kug (Leitung: Martin Summer). Fallweise lappt Hofstetters Akkuratesse ins Artifizielle, Manierierte. Kunststückchenhaft ist es auch, was Peer Boysen in seinem "szenischen Arrangement" der Oper aufführen lässt. Speziell die gesprochenen Abschnitte zelebriert der Deutsche oft unendlich zäh, wie in Zeitlupe, und nimmt wieder und wieder alle Fahrt aus dem Komödientrubel. Dafür hätte man das Stück nun wirklich nicht auf Deutsch machen müssen.

Gipfel der Absurdität

Galionsfigur der Langsamkeit ist Bibiana Nwobilo, die (als Marcellina) beinahe nach jedem Wort eine bedeutungsvolle Kunstpause einfügt. In puncto Charakterzeichnung ist Marie Friederike Schröder der Gipfel der Absurdität: Ihre Rosina ist kein Mensch, sondern eine glubschäugige Groteske des Extremen. Wie gut, dass Schröder mit ihrem lyrischen Koloratursopran wundervoll zart und apart zu singen versteht.

Darin steht ihr der Graf, der ihr den Hof macht, um nichts nach: Der wundervolle Daniel Johannsen könnte auch als Allegorie der Sangeskunst besetzt werden. Geschmeidiger, virtuoser geht's nicht. Und er spielt auch die verschiedenen Camouflagen des Almaviva ganz wunderbar und begleitet die Angebetete höchstselbst am Klavier. Chapeau!

Beinahe vergessener Messehallencharme

Dem jungenhaften Almaviva Johannsens steht mit Miljenko Turk ein kraftvoller, energiegeladener Figaro zur Seite. Stefan Sevenich stemmt sich als Bartolo mit vitalem Einsatz gegen den Eindringling in den Familienverband. Mächtig, rund und ausgewogen der Basilio von Josef Wagner; fein Ludwig Mittelhammers Fiorillo. Was das Gesamtbild anbelangt, hat Faktotum Boysen (auch Bühne, Licht und Kostüme) die Unternehmung ansprechend angelegt.

Die Kostüme spielen mit der Vergangenheit, das kollektive Intrigieren der Opportunisten ereignet sich in und vor fünf stilisierten Zimmerchen, die das Orchester umrahmen: Das lässt den Messehallencharme der Helmut-List-Halle beinahe vergessen. Auf der Bühne ist am Ende keiner so richtig glücklich, im Grazer Publikum regt sich zumindest im zweiten Akt zaghafter Frohsinn. Jubel zum Ende der Premiere. (Stefan Ender, 5.7.2015)