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Wandeln auf einer Bühne des prekären Lebens: Detail aus der Installation von Cathy Wilkes im Lentos.

Foto: APA / Cristiano Corte
Foto: Anne Katrin Feßler
Foto: Anne Katrin Feßler

Linz – Geschwätzig ist diese Ausstellung nicht. Auch nicht überbordend. Vielmehr still und – sagen wir es einmal so – überschaubar. Umso neugieriger, aber auch vorsichtiger nähert man sich also der kleinen Versammlung, die uns die britische Künstlerin Cathy Wilkes im großen Saal des Lentos hinterlassen hat: eine Inszenierung, die so spärlich "möbliert" ist, dass jedes Geräusch von den Wänden zurückhallt. Ein Klang der Leere, der bereits einen emotionalen Raum öffnet.

In diesem umkreist man auf dem Boden kauernde und kniende Figuren; zusammengesunken, oft mehr ein Häufchen Lumpen als ein menschliches Wesen. Und tatsächlich entpuppt sich manch zerschlissenes Bündel als auf dem Boden liegendes Kleinkind. Man fühlt sich erinnert an Fingerpuppen aus Filz, angewachsen zu Lebensgröße. Ihre Gesichter sind so stumm wie andere, zu Gipsmasken erstarrte Antlitze. Unter einem Tuch liegt der ausgemergelte Kadaver einer Kuh.

Es gibt keine Sockel, kein Podest, und dennoch nähert man sich der Installation wie dem Geschehen auf einer Bühne, inspiziert Tonscherben, rostige Töpfe und leere Flaschen, gibt selbst den Archäologen zwischen armseligen Spuren prekären Lebens.

2014: Tramway, Installation. The Modern Institute, Glasgow
GlasgowTramway

Man fühlt sich ein wenig wie in einem Figurentheater, das Stück hat man jedoch verpasst, die Erzähler sind geflüchtet. Und auch bei einigen Figuren hat man den Eindruck, sie seien auf der Flucht. Aber wohin gehen sie? Vielleicht wissen sie es selbst nicht. Bei der Interpretation ist man auf sich selbst zurückgeworfen, auf eigene Intuition, Gefühlslagen und Bilder, die man mit sich schleppt – etwa jene syrischer Flüchtlinge.

Emotion statt Intellekt

Diese emotionale statt intellektuelle Annäherung, in der auch das räumliche Herantasten eine große Rolle spielt, ist für das Werk der 1966 in Belfast geborenen Wilkes typisch. Zwar bestimmen ihre eigenen Gefühle und subjektiven Erlebnisse die Installationen, aber die Künstlerin will dies dennoch nicht als Beichte, als Herzausschütten verstanden wissen. Sie fordert vielmehr "Mut zum Sehen" ein. "All die Geheimnisse meines Bewusstseins fließen in meine Arbeiten ein", sagte sie 2011 in einem Interview mit dem Kurator Bart van der Heide anlässlich ihrer Schau im Kunstverein München. Dort erklärte Wilkes, die 2008 für den renommierten britischen Turner-Prize nominiert war, auch: "Ich erkenne und spüre, dass mein Werk Verlust und Traurigkeit vermittelt, und ich weiß, dass es ein Stück weit durch solche Erfahrungen bedingt ist."

2013 platzierte Wilkes im Kunsthaus Bregenz zwei nackte Schaufensterpuppen wie Zombies an wohlstandszugemüllten Supermarktkassen: quasi ein Bühnenbild für die den Neoliberalismus anprangernde Schau Liebe ist kälter als das Kapital. In Linz ist die Lesart eher von existenzieller, sozialpolitischer Natur.

Das hat auch damit zu tun, dass die Linzer Ausstellung ein Hybrid ist aus früheren Installationen, etwa aus Elementen, die 2013 bei der Biennale Venedig in Il Palazzo Enciclopedico gezeigt wurden: Untitled (Possil, at last) hieß die Arbeit: ein Titel, der auf einen industriell geprägten Stadtteil Glasgows verweist, inzwischen zu einem der ärmsten Viertel des Vereinigten Königreichs verkommen. Verarbeitet hat sie auch Fragmente von Untitled (Biggar), die wiederum auf eine ehemalige Bergarbeiterstadt in Schottland anspielen: Kaum mehr als 2000 Bewohner hat Biggar heute – ein aussterbendes Nest.

Irreführend ist es jedoch, von einem Rückblick auf Werke der vergangenen Jahre zu sprechen, schließlich stellt Wilkes immer neu zusammen, schafft – völlig? – neue Bedeutungszusammenhänge. Der Werkbegriff eines auf verwertbare Einzelarbeiten und -objekte angewiesenen Kunstmarkts will hier einfach nicht so recht greifen. Für Wilkes poesievolle Emotionstheater erscheinen die Objekte doch eher als stimmungstragende Utensilien. (Anne Katrin Feßler, 7.7.2015)

Turner-Prize-Nominierte 2008: ab Minute 3:04 spricht der Kurator über Cathy Wilkes
Tate