Der Chef der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien findet zusätzliche öffentlich-rechtliche Radiokanäle sinnvoll, um Digitalradio zu fördern. Er versteht aber ebenso, dass Private sich ihr Geschäft mit UKW nicht "mutwillig zerstören lassen".

STANDARD: In Wien ist vor wenigen Wochen Digitalradio nach dem Standard DAB+ in einen Testbetrieb gegangen. Bayern ist da – mit unterschiedlichen Standards – seit Jahrzehnten aktiv. Wie viele Menschen nutzen DAB+ denn inzwischen bei Ihnen? Laut Funkanalyse sind 3,2 Prozent der Geräte im Markt DAB+-fähig, errechnete gerade ein Kollege.

Schneider: Bayern ist seit vielen Jahren ein Treiber in Sachen Digitalradio. Wir sind der Überzeugung, dass wir auch terrestrisch digital werden müssen. Über 10 Prozent der bayerischen Bevölkerung verfügen inzwischen über mindestens ein DAB-Empfangsgerät. Immerhin knapp 4 Prozent der Bevölkerung geben an, DAB-Programme täglich zu hören. Dies entspricht rund 400.000 Personen ab 10 Jahren in Bayern.

STANDARD: In der Digitalradio-Debatte wird DAB+ gern mit dem nahen Ende von UKW-Empfang verknüpft. In Norwegen gibt es schon ein Ausstiegsszenario für größere Sender mit 2017, in der Schweiz lautet das Zieldatum 2024, auch für Deutschland wurde schon 2024 genannt. Schweden hat sich von einem Abschaltplan wieder verabschiedet, hieß es zuletzt.

Schneider: In Deutschland gab es schon einmal ein Abschaltdatum – von dem man sich auch wieder verabschiedete. Meine Position lautet: Wir müssen Kriterien festlegen.

STANDARD: Und die Kriterien sind?

Schneider: Wir brauchen eine ebenso gute technische Reichweite wie für UKW, das heißt, mehr als 95 Prozent der Bevölkerung sollte DAB hören können und mindestens 50 Prozent der Haushalte sollten über ein DAB-Gerät verfügen. Auch die tatsächliche Nutzung ist ein wichtiges Kriterium. Wenn die die Hälfte der Nutzung digital läuft – über DAB+ oder Internet – kann man konkret über einen Umstieg nachdenken.

STANDARD: Ein Umstieg scheint also nicht gerade morgen oder übermorgen aktuell zu sein.

Schneider: Es ist kontraproduktiv, mit der Umstiegsdebatte zu beginnen. Warum sollte jemand, der heute mit UKW gutes Geschäft macht, sein Geschäft mutwillig zerstören? Das heißt nicht, dass man nicht eines Tages abschalten wird. Wir werden aber noch über eine längere Zeitstrecke Digitalradio neben UKW entwickeln müssen – und Internetradio ebenso. Ein erfolgreiches Programm muss auf allen Vertriebswegen präsent sein. Deshalb fördern wir auch die DAB+-Sendeinfrastruktur für lokale und landesweite Radioanbieter mit annähernd 750.000 Euro im Jahr.

STANDARD: Der Bayerische Rundfunk hat mit seiner DAB+-Strategie ein Vorbild (für den ORF) und ein Drohpotenzial (für die Privatsender) geliefert: Der BR hat ein Jugendradio – Puls – in DAB+ gestartet – und eines Tages beschlossen, Puls auf UKW zu verlegen und dafür das BR-Klassikradio ins Digitalradio.

Schneider: Aus unserer Sicht war das eine völlig falsche Entscheidung. Wenn die Zukunft im Digitalen liegt, kann ich nicht die digital affinste junge Zielgruppe auf UKW schicken. Das ist politisch ein völlig falsches Signal. Und: Ich darf nicht mit der Marktmacht des Öffentlich-Rechtlichen, der von allen mit den Gebühren finanziert wird, das zarte Pflänzlein DAB+ bei Privaten so abwürgen, indem ich ihre Basis auf UKW angreife. Das hat der Entwicklung von DAB in Bayern schweren Schaden zugefügt.

STANDARD: Die Privaten nehmen das vermutlich nicht einfach hin.

Schneider: Eine Klage der Privatsender dagegen ist beim Landgericht in München anhängig. Uns ist zumindest gelungen, dass der BR diesen Schritt um zwei Jahre verschoben hat. Für eine funktionierende, gemeinsame DAB-Strategie von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten sollte er diese Maßnahme – unabhängig von einer Entscheidung der Gerichte – revidieren.

STANDARD: Kann sich DAB+ ohne Öffentlich-Rechtlichen entwickeln?

Schneider: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss Vorreiter in DAB+ sein, damit DAB+ attraktiv ist – etwa mit innovativen Programmangeboten.

STANDARD: Das darf der ORF nur begrenzt – womit er auch seinen Ausstieg aus dem DAB+-Testbetrieb in Wien begründete.

Schneider: Der BR darf zehn Programme anbieten, und das tut er auch gut.

STANDARD: Was braucht es denn noch für die Entwicklung von DAB+ – wenn man sie will?

Schneider: Die Sendernetze müssen insbesondere Privaten zu günstigen Konditionen zur Verfügung stehen. Die Netze sind ja auch von allen bezahlt. In Bayern gehört etwa die Hälfte des Sendernetzes dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Gerade im regionalen und lokalen Bereich können sich private Hörfunkanbieter den Parallelbetrieb in UKW und DAB+ nur leisten, wenn man vernünftig zusammenarbeitet.

STANDARD: Vielleicht sollte man an dieser Stelle betonen: Die deutschen Landesmedienanstalten sind nur für den privaten Rundfunk zuständig und nicht zugleich für den öffentlich-rechtlichen, wie die österreichische Medienbehörde KommAustria. Sie können den Öffentlich-Rechtlichen also im Prinzip nichts anschaffen.

Schneider: Ich kann hier nur politisch werben.

STANDARD: A propos politisch: In Österreich verbietet das Gesetz, Politikern und ihren Mitarbeitern bis ein Jahr nach ihrer politischen Tätigkeit, Mitglieder der Medienbehörde zu werden; teils noch schärfere Klauseln gelten für den ORF. In Bayern sieht man das offenbar gemütlicher: Den Bayerischen Rundfunk leitet ein Mann, der davor Kanzleramtsminister in Berlin war und die Landesmedienzentrale mit Ihnen einer, der zuvor bayerischer Medienminister war.

Schneider: Das ist ein natürlich ein ganz schwieriges Thema. Einerseits will man in der Politik Quereinsteiger aus der Wirtschaft oder aus dem nichtstaatlichen Bereich. Da wird es schwer, wenn man den Weg aus der Politik in andere Bereiche versperrt. Ich habe aber natürlich Verständnis für die Sensibilität des Themas – wir hatten durchaus Debatten darüber. Ich kann es für mich verantworten, indem ich einen klaren Schlussstrich gezogen habe – ich bin aus dem Parlament ausgeschieden, habe ein halbes Jahr Karenzzeit eingehalten und habe meine parteipolitischen Ämter abgegeben. Aber es schadet nicht, wenn man einen inhaltlichen und auch politischen Hintergrund hat, auch um etwas erreichen zu können.

STANDARD: Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien wirkt, jedenfalls aus der Ferne, stark als Anwalt oder Lobbyorganisation für privaten Rundfunk. Täuscht der Eindruck?

Schneider: Die BLM ist die einzige Landesmedienanstalt in Deutschland mit einem besonderen Auftrag in der Landesverfassung: Wir sind der öffentlich-rechtliche Träger für den privaten Rundfunk in Bayern und haben damit auch die Aufgabe den privaten Rundfunk zu fördern.

STANDARD: Aber Sie sind zugleich Aufsichtsbehörde über privaten Rundfunk.

Schneider: Natürlich sind wir auch Aufsicht im klassischen Sinn. Meine Maxime an die Sender lautet: So lange ihr euch an die Gesetze haltet, bin ich euer größter Förderer. Wenn ihr, etwa in der Werbung oder im Jugendschutz, Wege an den Gesetzen vorbei einschlagt, dann bin ich klassische Aufsicht. Das muss man klar auseinander halten. Wer sich an Recht und Ordnung hält, hat in der BLM einen Förderer. Wer nicht, muss konsequente Maßnahmen gewärtigen.

STANDARD: Das Friedrich-Funder-Institut hat Sie zuletzt nach Wien eingeladen, nicht zuletzt, um Bayerns Digitalförderungen zu referieren. Einige Medienmacher im Saal haben da ganz leuchtende Augen bekommen…

Schneider: Bayern hat mit seiner Medienpolitik seit Ende der 1980er Jahre einen bedeutenden Mediencluster entwickelt, eines der gewichtigsten Medienzentren in Europa. Nun geht es längst um die weitere Entwicklung als Digitalcluster. Bayern wird in den kommenden Jahren 1,5 Milliarden Euro in die digitale Infrastruktur investieren, vor allem in schnelle Datenleitungen; zusätzlich 300 Millionen Euro in ein "Zentrum Digitalisierung Bayern", das aus den fünf Plattformen Industrie 4.0, vernetzte Mobilität, digitale Gesundheit, Energie und IT-Sicherheit bestehen wird und in die Gründerszene. Hier werden die Kompetenzen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen, von Unternehmern und Gründern gebündelt. 20 neue Professuren und Forscherteams, verteilt über ganz Bayern, werden ihre Erkenntnisse zuliefern. Ziel sind, bis 2020, tausend neue Unternehmen im IT-Bereich. In München wird ein Gründerzentrum für Internet und digitale Medien aufgebaut. In diesem Rahmen wird auch die BLM aktiv. Diese zentrale Werk1.Bayern ist eine Blaupause für sieben regionale digitale Gründerzentren in den sieben Regierungsbezirken Bayerns. Für diese regionalen Zentren und für einen sogenannten Digitalbonus wird die Staatsregierung noch einmal 200 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Damit sollen digitale Umstellungsprozesse vor allem in mittel¬ständische Unternehmen unterstützt werden.

STANDARD: Wird auch die Entwicklung von Medien im engeren Sinn unterstützt

Schneider: Die BLM beteiligt sich an dem Gründerzentrum und richten dort ein Labor ein. Dort bringen wir Journalisten, Designer, Grafiker, Informatiker, Techniker zusammen, um Ideen zu entwickeln, die vielleicht zu Gründungen oder neuen Produkten im Medienbereich führen. Wir arbeiten auch daran, junge Talente mit Medienunternehmen zu vernetzen – etwa mit unseren Hackdays.

STANDARD: Wie sehen Sie das Interesse etablierter Medienhäuser an solchen Projekten?

Schneider: ProSiebenSat.1 hat einen eigenen Inkubator, auch Burda ist sehr aktiv in dem Bereich. Beide Häuser kooperieren mit den Universitäten in München, an denen es Entrepreneurship-Angebote gibt. Was ich vermisst habe, und da sind wir eingestiegen, ist die Förderung von digitalem Journalismus auch im Regionalen – ob im Radio, Fernsehen oder Print. Viele der Internet-Entwicklungen widmen sich E-Commerce, dagegen nur wenige klassischen Medienanwendungen.