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Die bizarren Landschaften auf dem Kometen 67P/Tschurjumov-Gerasimenko könnten einer reichlich weit hergeholten Theorie zufolge auf die Existenz von Mikroorganismen hinweisen. Forscherkollegen glauben jedenfalls nicht an Wallis' und Wickramasinghes Ideen.

Foto: APA 7 Vincent et al., Nature Publishing Group, ESA

Paris – Die zerklüftete Oberfläche und das nicht minder spannende Innenleben des Kometen 67P/Tschurjumov-Gerasimenko wären durchaus geeignet, mikroskopische Lebensformen gedeihen zu lassen. Dies zumindest glauben britische Wissenschafter, die ihre radikale These auf einem aktuellen Meeting der Royal Astronomical Society (RAS) in Llandudno in Wales präsentierten. Die Forscher rund um Max Wallis von Universität Cardiff halten es sogar für möglich, dass die bizarren Landschaften auf dem Zielkometen der "Rosetta"-Raumsonde von Mikroorganismen geformt wurden. Immerhin hätten die Beobachtungen der vergangenen Monate gezeigt, dass der Komet kein "tiefgefrorener, inaktiver Körper" sei, sondern geologisch recht aktiv.

Wallis glaubt, dass der Komet den Mikroben an einigen Stellen bessere Bedingungen biete "als die Arktis und die Antarkis auf der Erde". Wallis und sein Kollege Chandra Wickramasinghe verwiesen auf die bereits vor Monaten erfolgte Entdeckung organischen Materials durch "Rosetta", das dem Kometen seine überraschend dunkle und nicht reflektierende Oberfläche verleihe und als "Hinweis auf Leben" gedeutet werden könne. Wickramasinghe vertrat in einer E-Mail an AFP die Auffassung, dass möglicherweise Mikroorganismen für die Entstehung von "Taschen mit Hochdruckgasen" unter der Kometenoberfläche gesorgt hätten, durch die das darüber liegende Eis gesprengt und organische Teilchen herausgeschleudert worden seien.

Fachkollegen mehr als skeptisch: "So ein Schei..."

Wickramasinghe ist in der Vergangenheit vor allem als geradezu glühender Verfechter der Panspermie-Idee und vermeintlicher Entdecker von Lebewesen in Meteoriten aufgefallen. Unter ihren Fachkollegen stießen die Theorien von Wallis und Wickramasinghe auch diesmal auf wenig Gegenliebe. Uwe Meierhenrich von der Université Nice Sophia Antipolis etwa erklärte im "Guardian", dass kein an der "Rosetta"-Mission direkt beteiligter Wissenschafter ernsthaft davon ausgehe, dass es unterhalb der Oberfläche des Kometen Leben gäbe. Meierhenrich betreut das COSAC-Instrument an Bord von "Philae", mit dem die Oberfläche von Tschuri chemisch untersucht werden kann. Die von Wickramasinghe genannte dunkle Färbung sei bereits in den 1980er-Jahren als Resultat des Zusammenspiels von organischen Molekülen mit kosmischer Strahlung prognostiziert worden, erklärt der Wissenschafter. Aktuelle "Rosetta"-Daten würden diese Annahmen bestätigen.

Noch viel direkter klingt die Kritik von Dave Rothery von der Londoner Open University. Der Forscher beklagt laut dem "Guardian" in einem Facebook-Posting vor allem, dass die Royal Astronomical Society Wickramasinghe und seinen unausgegorenen Ideen eine Plattform bietet: "Ich selbst war in dem Vortrag und ich denke, man kann guten Gewissens sagen, dass das Publikum zwar gnädig, aber absolut nicht überzeugt war. Mikroorganismen in Kometen – so ein Schei…"

Tiefe Schächte

Spannend bleibt die Erforschung des Kometen auch ohne Lebensspuren allemal: Die Auswertung von "Rosetta"-Bildern hatten zuletzt ergeben, dass sich unter dessen Oberfläche offenbar große Hohlräume erstrecken, die nach und nach einstürzen. Die schachtartigen Vertiefungen auf dem Brocken aus Eis, gefrorenen Gasen und Staub treten laut Wissenschaftern vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in verschiedenen Größen auf: Ihre Durchmesser liegen zwischen zehn und einigen hundert Metern. Zudem haben sie nahezu vertikale Seitenwände und sind außergewöhnlich tief – die größeren reichen bis zu zweihundert Meter ins Innere von Tschuri. An ihren Innenseiten zeigen die Aufnahmen Schichtungen und Terrassierungen.

Verbreitetes Phänomen

Ähnliche Strukturen kennen Forscher den Angaben zufolge bereits von den Kometen 9P/Tempel 1 und 81P/Wild 2, die Ziel der NASA-Missionen "Deep Impact" und "Stardust" waren. "Wegen ihrer ungewöhnlichen Form unterscheiden sich diese Schächte deutlich von Einschlagskratern", erläuterte der "Osiris"-Wissenschaftler Vincent. "Es scheint sich um ein typisches Merkmal von Kometen zu handeln".

Die Analysen der Forscher ergaben zudem, dass feine Staubfontänen von den Innenseiten der Schächte ausgehen. Durch dieses "Staubspucken" allein könnten sich die ungewöhnlichen Strukturen aber nicht gebildet haben, teilte das MPS weiter mit. Gefrorene Gase, die unter dem Einfluss der Sonne aus dem Kometenboden verdampfen, könnten nicht genug Staub mit sich reißen, um Löcher dieser Größe zu erzeugen. Dafür wären zum Teil tausende Jahre nötig. Der "Rosetta"-Komet Tschuri dringe auf seiner Umlaufbahn aber erst seit 1959 ins innere Sonnensystem und damit in die Nähe der Sonne vor.

Einstürzende Hohlräume

Stattdessen spricht nach Einschätzung der Forscher alles dafür, dass es sich bei den Löchern um eingestürzte Hohlräume handelt. "Offenbar werden diese unterirdischen Hohlräume mit der Zeit immer größer, bis die Deckschicht instabil wird und einstürzt". erläuterte der MPS-Forscher Holger Sierks, der Koautor der Studie ist und das "Osiris"-Team leitet. Als Folge tritt an den Rändern der Vertiefung frisches Material zu Tage, aus dem Gase verdampfen und das so die auf Tschuri beobachteten Fontänen speist.

Die "Rosetta"-Sonde hatte mit ihrem Landeroboter "Philae" im vergangenen Sommer nach zehnjähriger Reise ihren Zielkometen Tschuri erreicht und umkreist seither den kleinen Himmelskörper. Im vergangenen November landete das Minilabor "Philae" auf dem Kometen. (APA/red, 7.7.2015)