Im Borkman-Haus des Grauens: John Gabriel (Martin Schwab), Gunhild (Regina Fritsch) und Ella Rentheim (Julia Stemberger, li.).

Foto: Dimo Dimov

Reichenau a. d. Rax – Eine Bank geht flöten, weil deren Direktor zu hoch gepokert hat. Viele Menschen haben ihr Vermögen verloren. So etwas soll vorkommen. Ein Vertrauter hat den Bankier verraten. Es folgen fünf Jahre im Gefängnis und die gesellschaftliche Ächtung. Denn mit dem guten Familiennamen ist auch das Familienleben ruiniert. Hier setzt Henrik Ibsens Theaterstück John Gabriel Borkman (1896) ein.

Nur wenige Wochen liegt es zurück, dass das angesagte Antikapitalismusdrama bei den Wiener Festwochen eine Neuausrichtung erfuhr: Der australische Regisseur Simon Stone modellierte am Akademietheater eine veritable Boulevardkomödie. Die Neufassung der Festspiele Reichenau nun beließ im Wesentlichen alles beim Alten, man kürzte sachte, aber spürbar und fügte Nuancen hinzu. Bemühte sich das Akademietheater um die Zwerchfellmuskeln des Publikums, so zog einem die Inszenierung Alfred Kirchners im Großen Saal des Sommerfrischetheaters die Mundwinkel bang nach unten. Stellenweise allzu outrierend mühte sich das Ensemble um eine familiäre Horrorstimmung ab.

In klaustrophobisch arrangierten Kulissen (Bühne: Peter Loidolt) begegnen die Borkmans einander wie giftsprühende Tiere im Terrarium. Unter ihnen ist Gunhild Borkman (Regina Fritsch) im schwarzen, hochgeschlossenen Kleid (Kostüme: Erika Navas) die Königsviper, deren Hass von gleicher Zerstörungswucht ist wie ihre besitzergreifende Liebe zu Sohn Erhart (Stefan Gorski). Dieser soll den Namen Borkman wieder hoffähig machen. Er denkt freilich nicht daran.

Gunhilds Schwester Ella Rentheim (tief, besonnen: Julia Stemberger), die den Borkmans einst das Eigenheim gerettet hat und zudem als Pflegemutter Erharts in die Bresche sprang, ist nun nach Jahren der Distanz ins Borkman-Heim zurückgekehrt. Sie will nicht alleine sterben. Das bringt die Verhältnisse in Bewegung.

Egomanischer Visionär

Stückfassung und Inszenierung ringen um eine scharfe Kontur des Titelhelden. Als ekstatischer Weltenschöpfer und -träumer entspringt dieser John Gabriel Borkman dem Richard-Wagner-Universum; Martin Schwab zeigt ihn als einen von Herzen egomanischen Visionär. Das Erz seiner Bergwerke, aus denen er zu schöpfen gedachte, blinkt ihn nun, in seiner Bankrottzeit, metallisch an. "Menschenglück" wollte Borkman herstellen: Er, der seine große Liebe Ella Rentheim aus Kalkül einem anderen übergab! Seine Musikstudentin (Fanny Altenburger als Frida Foldal) soll ihm dazu den Lohengrin spielen.

Auf eine Ökonomie des Schreckens hat diese vierte und letzte Reichenauer Premiere in dieser Saison vergessen. Steil steigt das Ensemble in puncto Lautstärke, geifernde Gesten, körperliche Attacken ein, sodass sich der Zustand des zwischenmenschlichen Grauens schon weit vor der Pause abnützt. Wie von einem anderen Stern wirken da Erhart und Fanny Wilton (Chris Pichler). (Margarete Affenzeller, 7.7.2015)