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Schmierereien auf dem Zentralbankgebäude gegen die deutsche Kanzlerin Merkel werden übermalt.

Foto: Reuters / Yannis Behrakis

Dass Mario Draghi nicht versucht hat, mit dem alten Stil zu brechen, kann ihm niemand vorwerfen. Jean-Claude Trichet, Draghis Vorgänger an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt, beschwerte sich immer wieder lautstark über reformunwillige Länder. Wenn Regierungen in Italien oder Irland sich Forderungen der EZB nach Reformen oder Einsparungen widersetzten, verschickte Trichet auch schon mal Drohbriefe nach Dublin und Rom.

Im Gegensatz zum Franzosen agiert der Italiener Draghi zurückhaltender. Ja nicht den Anschein der Parteilichkeit erwecken: Das war seine Devise. Wer mit Notenbankern nach dem Wahlsieg der Syriza in Griechenland im Jänner sprach, bekam deshalb lange nur diplomatische Floskeln ("Der Euro ist irreversibel") zu hören.

Das große Schweigen

Nur wer genau hinhörte, konnte erkennen, dass die EZB-Führung Syriza als Risiko betrachtete. So gab es zwischen Mitte Februar und Anfang Juni auf der EZB-Website nur eine einzige offizielle Stellungnahme der Notenbank direkt zu Griechenland. In dieser Mitteilung kritisierte die EZB ein geplantes griechisches Gesetz, mittels dessen den Banken die Versteigerung von Häusern verboten werden sollte, deren Eigentümer ihre Hypothek nicht mehr bezahlen konnten. Das Gesetz könnte die Zahlungsmoral der Griechen verschlechtern, so die EZB. Großes Schweigen und ansonsten nur diese eine Kritik zu einer Sozialmaßnahme? Das sieht schon weniger nach Unparteilichkeit aus.

Seitdem Griechenlands Premier Alexis Tsipras ein Referendum angekündigt hat, ist es mit der Zurückhaltung ganz vorbei. Am 26. Juni hat die EZB den Rahmen für Notkredite an griechische Banken nicht weiter erhöht. Das hat zur Einführung eines 60-Euro-Limits für Barabhebungen in Hellas geführt und das Wirtschaftsleben dort zum Stillstand gebracht.

Schaden gebracht

Für Ökonomen wie dem Franzosen Charles Wyplosz hat die EZB mit ihrer Entscheidung einen Schaden angerichtet, dessen Bedeutung weit über die griechischen Grenzen reicht. "Der Fall machte eines klar: Die Euroländer haben keine eigene Zentralbank. Selbst für sie ist der Euro nur eine Fremdwährung", so der Ökonom.

Wyplosz belegt sein Argument mit einem Beispiel: Wenn sich ein Land in Lateinamerika Geld borgen will, nimmt es am Finanzmarkt einen US-Dollarkredit auf. Wenn Investoren Zweifel an der Bonität dieses Staates bekommen, wird das Land nicht mehr an frische Dollar kommen und im schlimmsten Fall pleitegehen.

Wie in Lateinamerika

Den USA kann so etwas dagegen nicht passieren, sagt Wyplosz. Denn sogar wenn einmal Investoren beginnen würden, an der Finanzkraft der Regierung in Washington zu zweifeln, ist immer die US-Notenbank Fed da, um frische Dollars zu drucken und damit Staatsanleihen zu kaufen.

Die Eurozone ist laut Wyplosz dem lateinamerikanischen Land ähnlicher als den USA. Denn auch die EZB weigere sich, den Mitgliedern der Eurozone ausreichend Euro zur Verfügung zu stellen. Aktuell sei Griechenland betroffen. Aber die Krise mache aller Welt deutlich, dass auch andere Länder wie Portugal und Spanien im Ernstfall nicht auf den Schutz ihre Notenbank zurückgreifen können. Was ist die Folge davon? Die Eurozone könnte auseinanderfallen, so Wyplosz, egal, ob der Grexit jetzt oder später kommt.

Wie die EZB argumentiert

Auch andere Ökonomen sehen das so. Die Analystin Frances Copolla hat in Forbes einen Artikel veröffentlicht, in dem sie schreibt, der Zerfall der Eurozone habe bereits begonnen. Auch sie bringt das Fremdwährungsargument.

Was aber sagt die EZB und welche Hilfen verweigert sie warum?

Zunächst einmal meidet die Zentralbank aktuell griechische Staatsanleihen. Die EZB kauft zwar Staatspapiere im Wert von 60 Milliarden Euro pro Monat, um die Wirtschaft anzukurbeln. Hellenischen Anleihen sind aber als Einzige vom Kaufprogramm ausgenommen. Die Begründung dafür: Die EZB hat schon in der Vergangenheit griechische Papiere gekauft. Würde sie noch mehr erwerben, wäre dies ein Verstoß gegen das in den EU-Verträgen festgelegte Verbot, Euroländer mit der Druckerpresse zu finanzieren.

Doch die EZB geht einen Schritt weiter und verweigert griechischen Banken wie erwähnt jeden Kredit. Hierfür eine plausible Begründung zu finden fällt schwer.

Notfallsgeld

Die Kreditvergabe an die Banken in Hellas lief zuletzt über die Emergency Liquidity Assistance (ELA). Im Euroraum ist es Aufgabe der EZB, Geld zu drucken. In Krisensituationen dürfen aber auch die nationalen Notenbanken im Rahmen von ELA Geld schaffen, um damit Banken zu helfen.

Lange wusste man in der Öffentlichkeit nur, dass es dieses Instrument gibt – aber niemand kannte die Regeln. 2013 hat die EZB eine Erklärung veröffentlicht. Darin findet sich aber kein Grund, warum griechischen Banken der Nachschub verweigert wird. Den EZB-Stresstest 2014 haben die Hellas-Institute bestanden. Das heißt, sie sind solvent und kommen nur aktuell nicht an Liquidität; das ist die Grundvoraussetzung für die ELA-Vergabe.

Druckmittel

Auch finanziell hat die EZB nichts zu befürchten. ELA scheint nur auf der Bilanz der nationalen Notenbank auf. Für die EZB drohen also keine Verluste, selbst wenn alle Banken in Hellas Pleite gehen. Die EZB muss darauf achten, die Geldmenge nicht unkontrolliert auszuweiten, da ansonsten die Inflation steigen könnte.

Doch die Teuerungsrate im Euroraum liegt bei 0,2 Prozent. Hier droht also keine Gefahr. Einzig verbleibende Erklärung ist für viele Ökonomen, dass die EZB die Darlehenskürzung als Druckmittel einsetzt, um Athen weichzukriegen. Wenn das der Fall ist, wandelt Draghi auf Trichets Spuren. (András Szigetvari, 8.7.2015)