Dem globalen Problem "schlechter Geschmack" widmet sich Anselm Reyle, 1970 in Deutschland geboren.


Foto: Courtesy Galerie CFA, Berlin ,© Sammlung Essl

Klosterneuburg – Deutsche Kunst nach 1960. Noch bevor einem dieser Ausstellungstitel, der so nach Auktionshaus-Kategorie schreit, nach "Modern and Contemporary Chinese Art", nach "Swiss Art", "Latin American Art" oder gar "Made in Britain", auf der Zunge zergeht, da knödelt der Teufel hinter der rechten Schulter bereits von der "teutschen Kunst" und spuckt dabei in seiner d-d-d-onnernden Ausrufezeichensprache.

Freilich war im Essl-Museum nicht mit einer Schau zu den "teutschen Tugenden" zu rechnen – trotzdem macht es einen Unterschied, ob man das Etikett "deutsche Kunst" oder "Kunst aus Deutschland" draufpickt, die Region über etwaige Charakteristika stellt. Weil – wie Die Presse zuletzt sehr richtig fragte: "Kann Kunst deutsch sein?" Kann sie nicht.

Und insbesondere: Soll sie nicht. Vom Wiederkäuen nationalstaatlicher Klischees einmal abgesehen, ist es doch gerade die Kunst, die diese Begrenztheiten im Denken immer wieder mit aufrührerischen Gesten überschreitet. Markus Lüpertz hatte sich ja an den Stahlhelmen, den Wald-, Blut-und-Boden-Motiven und der entsprechend erdigen Farbpalette satirisch abgearbeitet, den Finger in nie geheilte Wunden gelegt. Und jetzt also Kategorie "deutsch"?

Diese Sekundärmarkt-Attitüde der Verwertbarkeit hatte zuletzt die Schau Made in Austria 2014. Wir erinnern uns: Das war nur wenige Wochen, bevor Sammler Karlheinz Essl der Republik den großen Bausch-und-Bogen-Verkauf seiner Kollektion anbot – und einen Korb bekam. Er servierte damals eine kompakte österreichische Kunstgeschichte, mit allem, was Rang und Namen hat: etwa Hundertwasser, Lassnig, Nitsch, Rainer, Wurm. Die jetzige Deutsch-Ausgabe ist da ähnlich populär – und teuer: von Georg Baselitz und Markus Lüpertz über Jörg Immendorff, A. R. Penck, Anselm Kiefer bis zu Gerhard Richter, Neo Rauch, Jonathan Meese.

Portfolio-Verdacht

Dass Essl den Katalog zu seiner, Zitat, "fulminanten" Schau an weltweit 450 Museen verschickt hat, ist dabei nicht nur eine nette Geste. Solche Geschenke nähren den Portfolio-Verdacht: Ist das gut 200 Seiten starke Geschenk doch eine nette Broschüre zum Aussuchen einer hübschen Leihgabe. Obendrein schraubt jede museale Präsentation nicht nur am Wert der Künstler, sondern auch an jenem der präsentierten Kollektionen selbst. Deswegen sind ja die Naheverhältnisse zwischen Galeriebetrieb und Museen so perfide.

Deutsche Kunst nach 1960 ist also ein durchschaubarer Titel. Dabei hätte es so viel andere passende gegeben: etwa "Potenz mit dem Pinsel", "Genie ist männlich", "Deutschland, wo sind deine Frauen?" oder "Kunst ist Malerei und sonst nichts" – Letzterer aber nur mit dem Zusatz: "Es sei denn, Maler schufen dreidimensional." Denn das, was hier auf zwei Ebenen des Museums recht spannungsfrei aneinandergereiht wurde, ist Leinwandware (Ausnahmen unter den 80 Werken von mehr als 21 Künstlern: Arbeiten von Bildhauer Tobias Rehberger und Materialmontagen von Dieter Roth). Oder es wurde von genialischer Malerhand geschaffen: wie bei Immendorff, Meese und Lüpertz – für Letzteren ist Skulptur ja überhaupt "dreidimensionale Malerei".

Auch als Spiegel deutscher Geschichte – was das "deutsch" im Titel auch rechtfertigen würde – funktioniert die Schau nicht. Trotz der totalen Kunst in der brachialen Malereidiktatur Meeses oder der Mythen- und Blei-belasteten Werke Kiefers oder der in den Motiven der Aufklärung kruschelnden Bilder Neo Rauchs. Eine Ode an Mannsbilder der Malerei und ihre nicht immer besten Arbeiten, das ist es. (Anne Katrin Feßler, 9.7.2015)