Andreas Klingler: "Berlin für Läufer ist die drittgrößte Marathonveranstaltung der Welt, ich möchte etwas in Bewegung setzen."

Foto: Andy Klingler

Video-Porträt im ORF.

Andreas Klingler

Als Andreas Hofer beim Wien-Marathon.

Foto: Andy Klingler

Wien – Sich im Leben seinen Grenzen zu nähern, dafür braucht es manchmal gar keine 42 gelaufenen Kilometer am Stück. Im Fall von Andreas Klingler reichen schon zwei, auf Krücken. Wo jeder Schritt ein Kraftakt ist, die Knie zittern, die Arme schwer werden und der Atem stockt. "Wenn ich mich nicht bewegen würde, säße ich schon im Rollstuhl", sagt Klingler.

Der 42-jährige Tiroler leidet seit seinem 18. Lebensjahr an der unheilbaren Erbkrankheit Adrenomyeloneuropathie, kurz AMN. Eine Stoffwechselerkrankung, die schützende Schichten von Gehirnnerven und Rückenmark abbaut und sukzessive zu Bewegungsunfähigkeit und Organversagen führt. Klingler will AMN an die Öffentlichkeit bringen. Laufen kann er schon lange nicht mehr. Beim diesjährigen Vienna City Marathon ging Klingler, verkleidet als der Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer, die letzten zwei Kilometer auf Krücken ins Ziel. Für den Berlin-Marathon im September hat er sich ebenfalls angemeldet. Und eine Absage erhalten, die einem Startverbot gleichkommt.

"Ich möchte etwas in Bewegung setzen"

"Eine absolute Diskriminierung", sagt Klingler. Die Begründung aus der deutschen Hauptstadt erfuhr er nur aus seinem Reisebüro. Es gebe einen eigenen Marathon für Rollstuhlfahrer und Handbiker. "Dort bin ich aber einer unter vielen Behinderten. Berlin für Läufer ist die drittgrößte Marathonveranstaltung der Welt, ich möchte etwas in Bewegung setzen."

Mark Milde, Renndirektor des Berlin-Marathons, äußert sich zum Fall Andreas Klingler. "Wir grenzen Menschen mit Behinderung nicht aus. Bei uns machen Blinde, Arm- und Beinamputierte mit. Wir bieten mehrere Marathonvarianten an, aber nur über die volle Distanz. Es gelten für alle die gleichen Regeln", sagt Milde zum STANDARD.

Klingler sagt, er stört niemanden an der Strecke, vergleicht seinen Kraftaufwand auf Krücken mit dem eines starken Marathonläufers mit gesunden Beinen. Seine Spitzenzeit über vier Kilometer liegt bei 2:10 Stunden. Der Tiroler lebt in Thiersbach, einem Nachbardorf von Alpbach, trainiert fast täglich, stellt sich auch besonderen Herausforderungen. Den fast 2.000 Meter hohen Gratlspitz bestieg er gemeinsam mit zwei Begleitern. Mit 23 Jahren sah ihn eine Freundin, wie er beim Laufen über seine eigenen Füße stolperte. Und schickte ihn ins Krankenhaus nach Innsbruck. Es folgte die Diagnose AMN, seinem Lehrberuf als Elektriker konnte er bald nicht mehr nachgehen. Heute lebt er zurückgezogen in der Wildschönau. "Ich bin auf mich allein gestellt."

Haftungsfragen

Behindertenfreundlicher als der Vienna City Marathon ist Berlin allemal. "Bei den Rollstuhlfahrern waren die Deutschen in den 1980er-Jahren Marathonpionier. Bei uns sind heuer über 200 Teilnehmer am Start, einige zielen auf eine Qualifikation für die Paralympics ab", sagt Milde.

In Wien gibt es keinen Bewerb für Rollstuhlfahrer. Laut Veranstalter Wolfgang Konrad scheitert es am Organisatorischen und an der Haftungsfrage, die Konrad nicht tragen möchte. Die Teilnehmer kommen immer wieder auf dieselbe Strecke zurück, was erhöhtes Unfallrisiko birgt. Die Handbikes erreichen Geschwindigkeiten von 40 km/h und schneller. Behindertenorganisationen wurde angeboten, als Veranstalter aufzutreten und dieses Risiko zu übernehmen. Es gab bisher keine Bereitschaft.

In Wien holte sich Andreas Klingler heuer problemlos seine Startnummer, bereits zum vierten Mal. Ohne ärztliche Atteste, die in Berlin bei der Anmeldung verlangt wurden. Alles in allem würde Berlin Klingler 1.500 Euro kosten.

Ein empfindliches Thema

Für Renndirektor Milde ist Inklusion ein empfindliches Thema. Er bekomme viele Anfragen dieser Art, müsse dann überall eine Ausnahme machen, und "das wird irgendwann zu viel. Wir haben auch Läufer, die gerne über sechseinhalb Stunden auf der Strecke wären. Aber das ist zeitlich die absolute Grenze. Mehr erlaubt die Berliner Polizei nicht." (Florian Vetter, 9.7.2015)