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Der Denker von Auguste Rodin als Sinnbild des Philosophen.

Foto: AP/MATTHIAS RIETSCHEL

Die Philosophie steckt wahrlich in einer Krise. War sie noch bis vor einem Jahrhundert die Königin aller Wissenschaften, stellt sich mittlerweile gar die Frage, ob Philosophie überhaupt noch als Wissenschaft betrachtet werden kann – jedenfalls so, wie Wissenschaft in moderner Art und Weise verstanden wird.

Keine Experimente, keine Studien

Wissenschaft bedarf immer der Empirie. Ob Psychologie, Biologie, Physik oder Chemie, Wirtschaft, ja sogar Soziologie, sie alle stützen ihre Erkenntnisse auf empirische Belege. Forscher dieser Disziplinen führen rege Experimente sowie Studien durch, um ihre Hypothesen zu stützen oder zu verwerfen. All dies ist auf das Falsifikationsprinzip von Karl Popper zurückzuführen, der bekanntlich Philosoph war. Nur eine Theorie, die in mehreren Anläufen verifiziert wurde, kann als glaubwürdige Theorie weiter Bestand haben. Trotz dieses Umstands bedient sich die Philosophie keines Falsifikationsprinzips im wissenschaftlichen Sinne. Die Philosophie führt weder Experimente noch Studien durch, um ihre Aussagen mit Evidenz zu untermauern.

Sozial-, Kultur- oder Wirtschaftswissenschaften

Mag sein, dass dies bis dato lediglich Aufgabe der Naturwissenschaften gewesen ist. Schaut man jedoch zu den Sozial-, Kultur- oder Wirtschaftswissenschaften, bedienen diese sich mittlerweile ebenso der Empirie und stützen ihre Aussagen methodisch.

Einer mag einwerfen, dass dies noch lange kein Grund ist, um eine Disziplin als Wissenschaft abzutun, aber jeder große Begriff hat sich bisher im Laufe der Zeit einem Wandel unterzogen. So muss der Begriff der Wissenschaft neu gedacht werden. Da ist die Disziplin der Philosophie keineswegs die einzige, die aus der modernen wissenschaftlichen Reihe tanzt.

Produkt eines subjektiven Geistes

Philosophie ist zu einer Wissenschaft geworden, die sich mit den Resten anderer Wissenschaften beschäftigt, das heißt mit den Fragen, die in den anderen – insbesondere naturwissenschaftlichen – Disziplinen bisher unbeantwortet geblieben sind. Um auf diese Fragen dann eine Antwort zu finden, wird ein intensiver Nachdenkprozess durchgeführt. Dieser ist aber eben nur ein Produkt des subjektiven Geistes und birgt keineswegs Objektivität in sich. Die Philosophie kann nicht mehr als eigenständige Wissenschaft bezeichnet werden, da ihr ein immanentes Telos fehlt.

Jede der (modernen) Wissenschaften ist teleologisch, das heißt, sie verfolgt ein gewisses Ziel, das es zu erklären und in der momentanen Gegenwart zu lösen gilt. Die Psychologie will den Menschen, und vor allem dessen Verhalten, beschreiben, erklären und vorhersagen – auf biologische sowie auf psychosoziale Weise.
Die Physik will die Natur sowie deren unbeeinflussbare Vorgänge mittels Theorien und Experimenten auf physikalische Art und Weise erklären – das Prinzip von trial and error ist hierbei omnipräsent. Ebenso haben Chemie, Medizin, Wirtschaft, Politikwissenschaft und ein paar wenige andere ebenso einen teleologischen Anspruch, indem sie ein klares Ziel verfolgen, das auf empirische Art und Weise erläutert werden soll.

Geschichte ihrer selbst und Lebenshilfe

Die Philosophie ist einerseits zu einer Geschichte ihrer selbst geworden, indem sie insbesondere die Gedankengänge ihrer Urväter der letzten Jahrhunderte vermittelt, sowie andererseits zu einer Lebenshilfe, zumal sie aufzeigt, welche moralischen und ethischen Verhaltensweisen angebracht sind beim Nachsinnen über sich selbst als Teil einer Gesellschaft. Ich mag den Beitrag, den die Philosophie bisher geleistet hat und auch immer noch leistet, keineswegs unterminieren. Die Philosophie war diejenige aller Wissenschaften, die den Grundbaustein für all unseren wissenschaftlichen Fortschritt gelegt hat.

Kostbarer Beitrag zu den Wissenschaften

Die Philosophie leistet immer noch einen kostbaren Beitrag zu den Wissenschaften, indem sie immer wieder versucht, das Subjekt, also den Menschen, in den Vordergrund zu rücken, und aufklärt, welche Aspekte in diesem Experiment oder jener Studie bisher vernachlässigt wurden. Aber der Geist-Materie-Dualismus ist schon lange ein Anachronismus, ebenso wie einige andere ehemalige Ansichten der Philosophenväter zu Trivialitäten wurden. Und all jene großen Fragen, die immerzu komplex gewesen sind, wurden von etlichen anderen Disziplinen aufgegriffen.

Man sollte die Philosophie daher viel mehr als Ethik sowie als Hilfsmittel bei wissenschaftlichen Überlegungen und als Wegweiser im alltäglichen Leben sehen. Philosophie ist zu dem geworden, was ihr begrifflicher Ursprung impliziert – die Liebe zur Weisheit. Gar könnte man sagen, dass die Philosophie zu einer Religion der modernen Intellektuellen geworden ist. Und Religion war noch nie Wissenschaft. (Thall Kausenmut, 15.7.2015)