Die griechischen Wähler haben in einem Referendum das Reformpaket der Troika mit großer Mehrheit abgelehnt. Nach einem halben Jahr Verhandlungen überließ der griechische Regierungschef Tsipras die Entscheidung über deren letztes Angebot dem Volk. Dieses hat eine klare Absage erteilt.

Der Plan der Troika, über den abgestimmt wurde, beschränkte sich im Wesentlichen auf eine Anzahl von Sparmaßnahmen und Ausgabenerhöhungen, welche die volle Rückzahlung der Kredite an die Gläubiger des griechischen Staates – bestehend in erster Linie aus den Mitgliedsländern der Eurozone und dem IWF – garantieren sollten. Im Gegenzug für die Sparmaßnahmen sollte ein Überbrückungskredit freigegeben werden, mit dem fällig werdende Kredite an eben dieselbe Troika zurückgezahlt werden sollten.

Die Verhandlungen waren auf europäischer Seite von einer Friss-oder-stirb-Mentalität geprägt, deren Ziel es war, Tsipras so wenig Zugeständnisse wie möglich zu machen, mit der Drohung eines Grexit – also eines Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone – im Hintergrund. Mit furchtvollem Blick nach Spanien, wo mit Podemos die nächste linkspopulistische Partei in den Startlöchern steht, wollen manche Konservative Syriza auf Sparkurs bringen oder alternativ den spanischen Wählern die potenziellen Kosten eines Abgehens von der Austerität mithilfe eines Grexit vor Augen führen.

Eben dieser Grexit scheint nun aufgrund des Ausgangs des Referendums näher denn je, doch wenn Griechenland aus der Eurozone gedrängt wird – unvermeidlich, sobald die EZB den griechischen Banken keine Kredite mehr gewährt -, werden die direkten und indirekten Kosten für die Eurozone signifikant sein. Ein vollständiger Zahlungsausfall Griechenlands hinsichtlich der Forderungen der europäischen Gläubiger (in Höhe von ca. 200 Milliarden Euro, davon Deutschland ca. 90 Milliarden. und Österreich etwa zwölf Milliarden) wäre bei einem Ausscheiden aus dem Euro rational, da die Schuldenlast für den griechischen Steuerzahler durch die Abwertung einer neu entstandenen Drachme noch bedeutend größer würde.

Ebenso würde die Last in Euro notierter Verschuldung von Haushalten und Unternehmen gegenüber dem Ausland anschwellen. Gleichzeitig würden mit dem Austritt einhergehende längerfristige Kapitalkontrollen die griechische Wirtschaft zum Stillstand bringen. Diese wären notwendig, um ein fluchtartiges Abfließen von Kapital zu vermeiden, welches das Bankensystem völlig zerrütten würde. Die darauf folgende Verschärfung der ökonomischen Krise könnte nicht nur die griechische Demokratie in Gefahr bringen, sondern auch zu einer wirtschaftlichen Destabilisierung des südlichen Balkan führen.

Um nicht dieses Worst-Case-Szenario durch übertriebene Rigidität in der Verhandlungsführung herbeizurufen, hat eine Vielzahl namhafter Ökonomen eine "carrot and stick"-Verhandlungsstrategie empfohlen, welche Syriza nicht völlig das Gesicht verlieren lässt und gleichzeitig Reformen in Griechenland sicherstellt.

Handfestes der Troika

Die Troika soll Griechenland im Gegenzug für Strukturreformen etwas Handfestes anbieten: Das wären einerseits ein signifikanter Schuldenschnitt und andererseits europäische Investitionen in die griechische Wirtschaft – eine Art europäischer Marshallplan.

Die Troika hat prinzipiell recht mit ihrem Beharren auf Strukturreformen, worunter die Liberalisierung des Arbeits- und insbesondere Gütermarkts zu verstehen ist, sowie einer Anpassung des defizitären Pensionssystems. Die Mainstreamökonomie ist sich darin einig, dass solche Reformen mittel- bis langfristig das Wirtschaftswachstum erhöhen.

Kurzfristig verursachen diese Reformen – ebenso wie die starke Senkung der Staatsausgaben oder Steuererhöhungen – jedoch Kosten in Form geringerer Nachfrage, geringeren Wachstums und negativer Auswirkungen auf die Einkommensverteilung und die Armut. Daher ist kurzfristig eine Erhöhung der Nachfrage durch mehr Investitionen sowie weniger Steuererhöhungen und Ausgabensenkungen notwendig. Dies wäre mit einem Schuldenschnitt, der die Zinsbelastung des griechischen Budgets reduziert, möglich.

Gleichzeitig muss sich Syriza zu Reformen bekennen, die das Land wieder auf die Beine bringen. Eine bloße Reduktion der Schulden ohne Reformen wird Griechenland längerfristig nicht helfen. Eine solche "carrot and stick"-Strategie wird Kosten für Europas Steuerzahler haben – diese werden jedoch weitaus geringer sein als jene, die durch einen Austritt Griechenlands aus dem Euro verursacht würden.

Deutschland dominiert aufgrund seiner ökonomischen Stärke die europäische Wirtschaftspolitik. Die deutsche Politik und öffentliche Debatte wird unglücklicherweise von rechtskonservativen Politikern und Ökonomen geprägt, deren Empfehlungen nicht der ökonomischen Mainstreamlogik entsprechen: Die CDU ist stolz auf ihre prozyklische Fiskalpolitik; seit 2011 liegt der Fokus auf europäischer Ebene auf der Reduktion öffentlicher Verschuldung, der Ablehnung jeder Art von Fiskaltransfers und gemeinsamer Fiskalkapazität der Eurozone sowie einer Ablehnung von Interventionen der EZB auf dem Markt für Staatsanleihen.

Diese kurzsichtige Politik hat die Wirtschaftskrise in Europa im Vergleich zu den USA unglücklicherweise verlängert und vertieft. Die deutsche Wirtschaftspolitik sollte nicht den nächsten Fehler machen, indem sie Griechenland ins Chaos stürzt. (Harald Fadinger, 09.7.2015)