Die Kirche Mariä Heimsuchung in Rinn dürfen Anderl-Anhänger für ihre Messe nicht mehr nutzen. Man trifft sich also vor der Türe.

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Innsbruck – Manche Mythen, so scheußlich sie sein mögen, halten sich zäh. Mitte des 15. Jahrhunderts soll ein dreijähriger Bub namens Andreas Oxner im Tiroler Rinn getötet worden sein. Die Geschichte wurde zuerst zur lokalen Mär, um 1620 inspirierten die Gerüchte den Haller Arzt Hippolyt Guarinoni zu Nachforschungen. Dank einiger Eingebungen in Träumen behauptete er schließlich: Das kleine Anderl muss am 12. Juli 1462 Opfer eines jüdischen Ritualmordes geworden sein.

Die Legende fand fortan große Verbreitung. Es gibt ein Theaterstück darüber, Lieder, ein inzwischen übermaltes Fresko, die Gebrüder Grimm nahmen die Sage auf, bis in die 1970er-Jahre wurde die Anderl-Erzählung in Tiroler Schulen als Tatsache verbreitet.

Anhänger gibt es bis heute

Historisch ist die Geschichte unhaltbar, die katholische Kirche hat sich vom Mythos längst distanziert, im Jahr 1988 wurde die Verehrung des Anderl amtskirchlich verboten, sein Festtag aus dem Kalender gestrichen – Anhänger hat das "Märtyrerkind" dennoch bis heute.

Am Sonntag werden wieder dutzende Menschen nach Rinn, einer Gemeinde mit rund 1800 Einwohnern im Bezirk Innsbruck Land, pilgern. Auf der Homepage von gloria.tv wird der Ablauf geschildert: Gebet bei der Wallfahrtskirche, Prozession durch den Wald, Feldmesse – eine tagesfüllende Veranstaltung.

Bischof Scheuer: "Kult ist tot"

Organisiert wird das Treffen privat, es wurde zwar nicht bei der Polizei, jedoch beim Bürgermeister von Rinn gemeldet: "Wir wollen in erster Linie unseren Frieden. Solange die keinen Müll hinterlassen, können sie den Gemeindeplatz nutzen", sagt Ortschef Friedrich Hoppichler. Manchmal lasse der Pfarrer die Kirche offen.

Das wird Bischof Manfred Scheuer nicht gerne hören. Erst diese Woche hielt Innsbrucks oberster Geistlicher noch einmal fest: "Kirchlich betrachtet ist der Anderl-Kult tot. Privatinitiativen stellen sich außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft."

Leute aus Neonaziszene

Vertreter der umstrittenen Piusbruderschaft sollen dennoch immer an der Prozession teilnehmen. Der Innsbrucker Historiker Horst Schreiber unterteilt die Anderl-Anhänger in Gruppen: "Viele sind einfach volksfrömmige Christen, hinzu kommen rechte katholische Gruppierungen. Besonders seitdem der Kult verboten wurde, zog er aber auch einige Leute aus der Neonaziszene an."

Bürgermeister Hoppichler will in den vergangenen Jahren jedenfalls hauptsächlich alte Leute gesichtet haben. "Also ich denke, das wird alles bald einschlafen." (Katharina Mittelstaedt, 11.7.2015)