Eine aktuelle Studie des British Council zeigt, dass die junge ukrainische Generation ihre Zukunft eher im Ausland sieht als zu Hause. Die Hälfte der 16- bis 35-Jährigen gab an, konkrete Auswanderungspläne zu haben.

Auch Anja ist eine von ihnen. Die junge Frau arbeitete fast zehn Jahre als Journalistin für mehrere Kiewer Medien, neben ihrer Muttersprache Ukrainisch spricht sie fließend Russisch, Englisch und Französisch. Ab September wird sie in Paris bei einer Kommunikationsagentur anfangen. Ihre älteste Tochter wird im kommenden Jahr eingeschult, sie und ihr kleinerer Bruder sollen eine Ausbildung in der EU bekommen. Anjas Ehemann Igor arbeitete als Systemadministrator bei einer Bank, "mit seiner Ausbildung wird er auch schnell eine Arbeit finden", ist sich Anja sicher.

50 Prozent der Jungen mit Plänen, Land zu verlassen

Menschen wie Anja und Igor gibt es in der Ukraine viele. Neben den klassischen Arbeitsmigranten, die zwar in der EU arbeiten, sich dort aber nie komplett niedergelassen haben, kommen nun die jungen, akademisch gebildeten Menschen, die in die EU oder nach Kanada gehen, um dort für immer zu bleiben.

In der Studie des British Council bezeichnen 82 Prozent der jungen Ukrainer sich zwar als "Patrioten", doch 50 Prozent von ihnen gaben an, derzeit konkrete Pläne zu haben, ihrem Land den Rücken zu kehren. In den Großstädten Kiew, Odessa und Charkiw ist der Wille zur Abwanderung besonders hoch. Die Jungen belegen Sprachkurse, bewerben sich im Ausland und stellen Visaanträge bei EU-Ländern, der Schweiz, Kanada und den USA.

Fehlende Perspektive

Als Grund für diese Entscheidung werden fehlende Perspektiven angegeben. "Weder der Beitritt der Ukraine zur EU noch eine schnelle wirtschaftliche Modernisierung wird in den nächsten zehn oder 15 Jahren kommen", meint Anja. Nach den politischen Umwälzungen und den Versprechungen einer EU-Zukunft der Ukraine folgten "Jahre des Stillstands", so Anjas kritische Bilanz.

Für die Ukraine könnte dieser Trend weitreichende Folgen haben. Seit der letzten Volkszählung von 2001 ist die Bevölkerung von 45 Millionen auf heute schätzungsweise 43 Millionen geschrumpft. Wenn immer mehr junge, gut ausgebildete Menschen zusammen mit ihren Kindern das Land verlassen, "hat eine solche Entwicklung zwangsweise negative Folgen auf die Gesamtlage", schreibt das British Council. (Von Nina Jeglinski, 15.7.2015)