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Ob ein Haircut den Griechen gut steht, ist eine Frage. Die andere dreht sich darum, ob ein solcher Schritt überhaupt rechtlich zulässig ist.

Foto: reuters/KAI PFAFFENBACH

Für viele Ökonomen ist ein Haircut für Griechenland die Voraussetzung für eine Besserung der Lage. Am Dienstag hat der Währungsfonds Öl ins Feuer gegossen. Aufgrund des gewachsenen Finanzierungslochs werde die Verschuldung Athens auf 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anspringen. Damit sei das Land von der sogenannten Tragfähigkeit der Schulden weit entfernt, urteilte der IWF sinngemäß. Ein Schuldenschnitt muss her.

Eurozone-Granden, allen voran Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble, halten dem entgegen, dass ein Haircut allein schon rechtlich nicht zulässig sei. Daher sprach sich Berlin am Wochenende für ein fünfjähriges "Time-out" Griechenlands von der Währungsunion aus, um die Verbindlichkeiten zu restrukturieren. Anders gesagt: Bei einem Grexit könnte mit Athen sehr wohl ein Schuldenerlass vereinbart werden. Dass dies innerhalb der Eurozone nicht möglich sei, wird mit dem Passus im EU-Vertrag begründet, dem zufolge weder die Union noch die Mitgliedsstaaten für einen anderen EU-Staat haften oder für dessen Schulden eintreten (Art. 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU; AEUV).

Verbindlichkeiten

Die Auffassung der deutschen Regierung teilt Walter Obwexer, EU-Rechtsexperte an der Universität Innsbruck. "Wer einen Schuldenschnitt macht, übernimmt damit Verbindlichkeiten", sagt der Verfassungsrechtler zum STANDARD. Warum dann die Streckung der Kredite auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, mit der die Forderungen ja laufend entwertet werden sowie die Senkung der Zinsen sehr wohl erlaubt sein soll? Für Obwexer macht es formaljuristisch einen gravierenden Unterschied, ob der Nominalwert der Darlehen gesenkt wird oder die Rückzahlungskonditionen verwässert werden.

Armin Steinbach von der Oxford University argumentiert ähnlich und ergänzt, dass die Schulden bei einem nominalen Haircut direkt auf die Geberländer übertragen würden. Beide Experten berufen sich dabei auf die Entscheidung "Pringle", in der sich der Europäische Gerichtshof mit der Zulässigkeit der Gründung des Rettungsfonds ESM (European Stability Mechanism) beschäftigte. Der irische Abgeordnete Thomas Pringle hatte das Höchstgericht angerufen, weil er im ESM einen Verstoß gegen die Nichthaftung der Mitgliedsstaaten sieht.

Präzedenzfall ESM

Der EuGH wies die Klage ab und meinte, dass eine Notfallhilfe im Gefolge der Finanzkrise erlaubt sein müsse, wenn diese die Anreize zu solider Haushaltsführung nicht schmälere. Daher müssen ESM-Hilfen mit Austeritätspflichten einhergehen. Genau dieses Urteil zieht nun Matthias Goldmann heran, um für den rechtlichen Spielraum für einen Schuldenschnitt zu argumentieren. Sofern die Unterstützung eines Landes auf die Stabilität der Haushaltspolitik ausgerichtet sei, können Griechenland seine Schulden auch gegenüber staatlichen Gläubigern der Eurozone restrukturieren, ist Goldmann überzeugt.

Neben dem Pringle-Urteil führt der auf öffentliches Recht spezialisierte Referent am Max-Planck-Institut auch eine EuGH-Entscheidung zu den Staatsanleihekäufen der Europäischen Zentralbank ins Treffen. Darin hat der Gerichtshof geäußert, dass die Wertpapierkäufe zulässig sind, obwohl die EZB dabei Verluste erleiden könne. Goldmanns Interpretation: Wenn die Hinnahme von Verlusten für die EZB trotz rigoroserer Bestimmung zulässig sei, dann gelte das für die Mitgliedsstaaten, den ESM und dessen Vorläufer EFSF umso mehr. Somit sei selbst ein Haircut mit Art. 125 vereinbar, wenn gleichzeitig die Wiedererlangung der Haushaltsstabilität angepeilt werde, schreibt er auf der Plattform verfassungsblog.de. (Andreas Schnauder, 16.7.2015)