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Wenn die Buchstaben nicht nur beim Augenarzt immer mehr verschwimmen, kann Kurzsichtigkeit der Grund sein. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Therapie.

Foto: Corbis/Sciarrino, Robert

Bruce Chatwin hat sich selbst therapiert. Als er Mitte der 1960er-Jahre seinen Job bei einem Auktionshaus in London kündigte und erstmals nach Afrika reiste, litt er unter starker Kurzsichtigkeit. Statt in Kataloge und auf Bilanzen zu starren, ließ er seinen Blick von nun an zum Horizont schweifen, verbrachte die meiste Zeit unter freiem Himmel – und seine Augen wurden gesund. So hat es der wohl berühmteste Reiseschriftsteller der Welt jedenfalls immer wieder selbst erzählt: Sonne, Freiheit und der Blick in die Ferne als Heilmittel gegen Kurzsichtigkeit. Kann das funktionieren?

"Ich bin da skeptisch", sagt Michael Amon, Vorstand der Augenabteilung des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Wien. "Als Patentrezept taugt diese Methode mit Sicherheit nicht." Das wäre allerdings auch viel verlangt. Denn die Wissenschaft hat bisher ebenfalls kein Zaubermittel gegen Kurzsichtigkeit (Myopie) gefunden. Und nicht nur in Asien sehen immer mehr Menschen nur verschwommen in die Ferne, darunter viele Kinder und Jugendliche. In den USA stieg der Anteil der Kurzsichtigen an der Bevölkerung zwischen 1972 und 2004 von 25 auf mehr als 40 Prozent. Und Untersuchungen aus Deutschland und Großbritannien zeigen eine ähnliche Tendenz.

Risiko steigt mit Dioptrien

Zwar lässt sich Kurzsichtigkeit durch eine Brille oder Kontaktlinsen gut ausgleichen. Oft nimmt die Sehschwäche aber über die Jahre ständig zu, und die Betroffenen benötigen immer wieder eine neue Korrektur. Die Stärke, mit der Brillengläser das Licht brechen müssen, um eine Fehlsichtigkeit auszugleichen, wird in Dioptrien gemessen. Bereits ab minus fünf Dioptrien steigt das Risiko für gefährliche Netzhauterkrankungen. Um wirklich helfen zu können, müssen die Forscher aber erst noch genauer verstehen, wodurch Kurzsichtigkeit entsteht.

Auf anatomischer Ebene sind die Gründe bekannt: Ist der Augapfel zu lang, gelingt es der Augenlinse nicht, die einfallenden Lichtstrahlen so zu bündeln, dass auf der Netzhaut (Retina) ein scharfes Bild entsteht. Der Brennpunkt liegt vor der Retina – je weiter, desto schlechter sieht man in die Ferne. Doch weshalb wächst das Auge bei so vielen Menschen zu stark in die Länge?

Genetische Faktoren spielen eine Rolle, weiß der Wiener Augenexperte Michael Amon. Leiden beide Eltern unter Kurzsichtigkeit, ist das Risiko für deren Kinder, ebenfalls kurzsichtig zu werden, bis zu viermal so hoch wie bei normalsichtigen Eltern. Den Hauptgrund für die starke Zunahme in den letzten Jahrzehnten vermuten Experten jedoch in veränderte Seh- und Lebensgewohnheiten. Elektronische Spielzeuge, aber auch Schulstress stehen unter besonderem Verdacht.

Bildung und Kurzsichtigkeit

Ausgerechnet Bildung scheint den Horizont oft zu verengen: Je höher der Schulabschluss einer Person ist, desto stärker ihre Kurzsichtigkeit, haben Untersuchungen aus Deutschland ergeben. "Wenn man seinen Blick – wie etwa beim Lesen – ständig auf den Nahbereich einstellt, regt dies das Längenwachstum des Augapfels an", erklärt Amon. Auch stundenlanges Schreiben, Rechnen und Arbeiten vor dem Computerbildschirm könne sich daher negativ auswirken.

Dazu passt, dass – anders als bei der ebenfalls weit verbreiteten Hornhautverkrümmung – fast niemand von Geburt an unter Kurzsichtigkeit leidet, sondern sich diese Art der Sehschwäche meist erst während Schulzeit oder Studium ausprägt. "Dennoch sollte man Bücherwürmern natürlich nicht das Lesen verbieten", sagt Amon. Wichtig sei eine gute Beleuchtung. Vor allem aber solle man darauf achten, dass Kinder die Bücher nicht zu nahe vor das Gesicht halten. Ideal sei ein Abstand von etwa 40 Zentimetern. Bei längerem Arbeiten am PC empfiehlt er, den Blick zwischendurch zur Entspannung aus dem Fenster schweifen zu lassen.

Mehr Kinder betroffen

Besonders beunruhigt der rasante Anstieg der Kurzsichtigkeit in Asien: Bis zu 90 Prozent aller Schüler und Studenten sind in den städtischen Gebieten von Taiwan, Singapur, China und Südkorea bereits vom Myopie betroffen. "Das hat stark mit dem dortigen Schulsystem zu tun", ist der Neurobiologe und Augenexperte Frank Schaeffel vom Universitätsklinikum Tübingen überzeugt: Zwar klagen auch Schüler in Europa zunehmend über schulischen Stress. Doch in Ländern wie China seien die Anforderungen noch deutlich höher. "Viele Kinder haben dort kaum mehr Zeit, draußen zu spielen."

Für schädlich halten es Fachleute darüber hinaus, wenn Teenager ununterbrochen auf das Display ihres Smartphones starren. Und Gameboys, deren Konsolen meist dicht vor die Augen gehalten werden, stehen ebenfalls unter besonderem Verdacht: Denn je geringer der Sehabstand, so der Verdacht, desto eher wird Kurzsichtigkeit gefördert – und man braucht früher oder später eine Brille.

Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsenen empfinden ein solches Drahtgestell auf der Nase als lästig oder unattraktiv. Nachlässig gepflegte Kontaktlinsen führen jedoch häufig zu Augenproblemen. In ihren Poren setzen sich leicht Krankheitserreger wie Bakterien oder Pilze fest, die schwere Infektionen der Hornhaut auslösen können.

Frühbucherrabatte und günstige Pauschalpreise

Als in den späten 1980er-Jahren in Kliniken erstmals Laser-Augenoperationen angeboten wurden, waren die Erwartungen groß: Ein kurzer Eingriff – und danach nie mehr Augenprobleme – hofften viele Betroffene. Bei kurzsichtigen, aber gesunden Augen ist eine Laser-OP in der Tat eine gute Lösung, sagen Augenärzte. Das Verfahren eignet sich allerdings nur bei stabiler Kurzsichtigkeit bis zu zehn Dioptrien und genügend dicker Hornhaut. Und jeder chirurgische Eingriff birgt Risiken.

Bei der häufigsten dieser Operationen wird mittels Laser ein kleiner Deckel in die Oberfläche der Hornhaut geschnitten und aufgeklappt. Anschließend wirkt der Laser auf tiefere Schichten im Auge ein. Laser-Eingriffe sind teuer und werden von der Krankenkasse nicht übernommen. In Österreich kosten sie rund 2000 Euro pro Auge.

Manche Spitäler im Ausland werben jedoch inzwischen mit Frühbucherrabatten und günstigen Pauschalpreisen – Städtetour inklusive. Michael Amon vom Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien warnt vor Scharlatanen: "Wer ein solches Angebot nutzt, spart an der falschen Stelle." Dumping-Anbietern gelingt es oft nicht, die Fehlsichtigkeit ausreichend zu korrigieren, und manche lösen mit ihren Operationen sogar Komplikationen aus. Bei angesehenen Chirurgen wiederum kommt man auch im Ausland – mit Anreise zur OP und Nachkontrolle – letztlich nicht billiger weg als in Österreich, so Amon. (Till Hein, 19.7.2015)