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Ungarische Polizisten händigen nahe der Stadt Szeged Flüchtlingen aus Syrien Wasserflaschen aus.

Foto: Reuters/Laszlo Balogh

Leise fallen nach einem kurzen Sommergewitter vereinzelt Regentropfen. Es ist noch früh. Aus der nahegelegenen Bäckerei strömt der Duft der ersten gebackenen Brote. Draußen wird es zunehmend schwül.

Eine ältere Dame mit grauen Haaren nähert sich mit einem Plastiksackerl in der Hand dem Szegediner Bahnhof. Direkt neben dem Haupteingang des im Baustil des Historismus errichteten Gebäudes wird sie von Jugendlichen empfangen. "Ich habe das für die Flüchtlinge mitgebracht", sagt sie. Doki, ein junger Aktivist, bedankt sich für die Sandwiches, Getränke, Toilettenpapier und Medikamente. "Ständig kommt jemand vorbei und bringt, was er kann", sagt Doki.

Seit zwei Wochen leistet er ehrenamtliche Arbeit. Gemeinsam mit dutzenden Freiwilligen hilft er Flüchtlingen, jeder, solange es seine Zeit erlaubt. Doki wird an diesem Tag über 15 Stunden im Dienst bleiben.

Die Aktivisten gehören zu Migráns Szolidaritás in Szeged (MigSzol) – einer Gruppe gleichgesinnter Personen, die sich entschieden haben, für die Flüchtlinge einzustehen und der negativen Antiflüchtlingspropaganda von Premier Viktor Orbán die Stirn zu bieten. "Wir versuchen ein humaneres Gesicht der ungarischen Gesellschaft zu zeigen", erzählt Márk Kékesi, einer der Gründer von MigSzol.

Plakate der Regierung

In den vergangenen Wochen haben immer mehr Flüchtlinge über Ungarn die Europäische Union betreten. Täglich gehen Tausende über die grüne Grenze. Oft machen diese "Grenzgänger" Erfahrungen, die wenig mit Menschlichkeit zu tun haben. Die ungarische Öffentlichkeit ist aufgewühlt. "Wenn du nach Ungarn kommst, musst du unsere Kultur respektieren", liest man seit Wochen landesweit auf riesigen, von der Regierung in Auftrag gegebenen Plakaten.

Die Universitätsstadt Szeged mit ihren rund 180.000 Einwohnern ist eine Ausnahme in Ungarn. Eine politische Insel, eine sozialistische Hochburg. 2014 triumphierte der Sozialist László Botka im Rennen um das Bürgermeisteramt haushoch über den Kandidaten von Orbáns Fidesz-Partei. Trotz beinharter Regierungspropaganda und des landesweiten Nationalismus.

Hier, unweit der serbischen Grenze, steht das Wahrzeichen der Gruppe. Eine kleine Holzhütte, eine Oase der Menschlichkeit. "Abgesehen von Lebensmitteln, Getränken und hygienischen Produkten geben wir ihnen rechtliche Informationen und Anweisungen für die vorgesehenen Transporte in die Flüchtlingscamps", sagt Kékesi. "Sie freuen sich am meisten über unseren menschlichen Umgang", fügt er noch an.

Die Solidaritätsbewegung entstand aus Mitgliedern des lokalen Untergrund-Rundfunksenders Rádió Mi. Der kleine Sender ist ein Gesellschaftsradio, das in der alternativen Szene in Szeged eine zentrale Rolle spielt. "Seit dem Beginn unserer Initiative sind die Sendungen praktisch tot." Aber das stört niemanden, schließlich machen zahlreiche Hörer bei der Flüchtlingsbetreuung mit.

Wenig Informationen von Polizei

"Viele Informationen erhalten die Flüchtlinge von der Polizei nicht", erläutert Anwältin Tímea Kovács. "Ihnen wird nur erklärt, wie sie von der Einwanderungsbehörde zum Flüchtlingslager reisen können", wirft die Beauftragte des ungarischen Helsinki-Komitees den Behörden vor.

Während Bilal, ein Pakistani, an seinem Sandwich knabbert, schildert er seine Erfahrungen im Auffanglager: "Als wir die Grenze passierten, wurden wir sofort aufgehalten, in Busse gesteckt und zu einem Hangar gebracht. Die meisten von uns haben nicht verstanden, was sie uns sagten." Nach zweimonatiger Reise aus Pakistan ist er froh, endlich auf freundliche und zuvorkommende Menschen zu treffen. "Nicht alles war so nett", schildert er kurz seine Reiseerfahrung.

"Menschen wie wir"

Mittlerweile ist es dunkel geworden auf den Straßen. Der letzte Zug fährt um 22.45 Uhr ab. Wer es bisher nicht geschafft hat wegzukommen, wird hier übernachten. "Wir haben uns auch auf diese Situation vorbereitet", sagt MigSzol-Initiator Balázs Szalai. Aus der Holzhütte holt er zwei Matratzen und Schlafsäcke heraus: "Die Flüchtlinge sind doch Menschen wie wir. Ein ruhiger Schlaf gebührt auch ihnen."

Und Doki? Der Bursche mit den Locken zeigt noch immer keine Müdigkeitserscheinungen. Er zieht sich blaue Plastikhandschuhe über und eilt zu einem jüngeren Mann: "Wir müssen seine Wunden desinfizieren." (Balázs Cseko, Sinisa Puktalovic aus Szeged, 20.7.2015)