Bild nicht mehr verfügbar.

Während immer mehr Amerikaner ihren Urlaub nach Kuba verlegen, reist Außenminister John Kerry am Montag nicht auf die Insel. Dafür trifft er in Washington Kubas Außenminister Rodríguez.

Foto: REUTERS/Alexandre Meneghini

Der schwarze Gitterzaun ist frisch gestrichen, das goldene Kügelchen, das den Fahnenmast im Vorgarten krönt, auf Hochglanz poliert. Auf den Beeten duftet neuer Mulch. Noch verdeckte am Sonntag ein rotsamtenes Tuch das Messingschild, auf dem zu lesen ist, dass dies hier die diplomatische Mission Kubas in Washington, D.C., ist.

Ein Palais an der 16th Street in der US-Hauptstadt, knapp drei Kilometer nördlich vom Weißen Haus, zur Linken die litauische Botschaft, zur Rechten die polnische, neben der ein imposanter Freimauertempel aufragt: Erbaut wurde das Haus mit Sandstein aus Indiana, von 1919 an war es das Domizil der kubanischen Auslandsvertretung. Es gibt alte Fotos, die Fidel Castro vier Monate nach dem Sieg seiner Rebellenarmee über den Diktator Fulgencio Batista auf seiner prächtigen Marmortreppe zeigen.

Vertretung unter Schweizer Flagge

Als Präsident Dwight D. Eisenhower im Jänner 1961 die diplomatischen Beziehungen zu Havanna abgebrochen hatte, versank die Villa in einem Dornröschenschlaf. 1977 erwachte sie wieder ein bisschen daraus. Der damalige US-Präsident Jimmy Carter stellte die Weichen vorübergehend auf Normalisierung, was zur Folge hatte, dass Havanna unter Schweizer Flagge eine Interessenvertretung an der 16th Street unterhalten konnte.

Heute, Montag, fährt Bruno Rodríguez vor, der aktuelle Außenminister der Karibikinsel, um zwei Meter hinter dem Gitterzaun die Fahne seines Landes zu hissen. Es ist keineswegs sein erster Trip in die Vereinigten Staaten. In New York, wo die Vereinten Nationen tagen, ist Rodríguez seit Jahren regelmäßiger Gast. Doch in Washington war er noch nie, zumindest nicht in offizieller Mission. Es ist überhaupt das erste Mal nach fünf Dekaden politischer Eiszeit, dass die US-Hauptstadt einem Politiker aus Kuba den roten Teppich ausrollt. Mit etwas weniger Pomp sollte zeitgleich in der kubanischen Hauptstadt Havanna die US-Botschaft wiedereröffnen. Ein größerer Akt wird erst stattfinden, wenn US-Chefdiplomat John Kerry für seinen geplanten Besuch in Havanna eintrifft.

Im Schatten des Iran-Deals

Denn so historisch der Durchbruch sein mag, zumindest das Kabinett Obama feiert ihn vorerst in einem eher bescheidenen Stil. Eigentlich wollte Kerry schon am Montag nach Havanna reisen, um vor der Botschaft am Malecón das Sternenbanner hochzuziehen – doch der Termin verschob sich, ein neues Datum steht nicht fest.

Nun belässt er es bei einem kurzen Auftritt im State Department und einem Treffen mit Rodríguez in Washington. Denn Kerry ist voll damit beschäftigt, skeptischen Kongressabgeordneten einen noch wichtigeren historischen Durchbruch zu erklären – das Atomabkommen mit dem Iran. Frühestens im August, heißt es derzeit, hat er Zeit für die Reise in die Karibik. Und Roberta Jacobson, seiner Chefunterhändlerin in den Normalisierungsgesprächen, ist erkennbar daran gelegen, die Latte niedrig zu hängen. Die Menschen auf Kuba sollmn von dem Tauwetter keine Wunder erwarten, dämpft sie: "Lassen Sie uns ehrlich sein, die Dinge ändern sich nicht über Nacht."

Unklarheit über Obamas Öffnungspolitik

Auch Juan Antonio Blanco-Gil, einst Diplomat in Fidel Castros Diensten, heute Dozent in Miami, rät zum Abwarten. Noch sei unklar, wohin Obamas Öffnungspolitik genau führe und wem sie nutze, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD. Blanco-Gil hat Kuba bei der Uno vertreten, später war er Berater im Zentralkomitee der KP, bis er 1991 im Zuge erster Lockerungen versuchte, einen reformsozialistischen Thinktank zu gründen, bald resignierte und 1997 seine Heimat verließ.

In der Diaspora, so der Politikwissenschafter, warte viel Kapital darauf, auf der Insel investiert zu werden. Da seien zum einen die rund 40 Milliarden Dollar (37 Milliarden Euro) an Bankguthaben, über die US-Amerikaner mit kubanischen Wurzeln verfügten. Da sei aber auch jede Menge "soziales" Kapital, etwa persönliche Netzwerke. Die Regierung in Havanna müsste eigentlich werben, sie müsste versuchen, den Kapitaltransfer in geordnete Bahnen zu lenken, sagt Blanco-Gil und macht keinen Hehl aus seiner Skepsis.

60 Prozent der einigermaßen funktionierenden Unternehmen Kubas würden vom Militär kontrolliert. Bei dieser Ausgangslage sei es durchaus denkbar, dass man sie wie auf Kommando privatisiere. Was dann folge, orakelt der Professor, lasse ihn eher ein Szenario befürchten, wie es das Russland der Neunzigerjahre mit seinen Oligarchen erlebte. "Dass McDonald's oder Walmart demnächst vielleicht Filialen in Havanna eröffnen – nun ja, im Vergleich zu diesem Albtraum bereitet es mir keine schlaflosen Nächte." (Frank Herrmann aus Washington, 20.7.2015)