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Die Grüne Kuppe ist ein Zwischenstopp auf dem Weg zum 3.312 Meter hohen Gipfel des Piz Buin.

Foto: Picturedesk / Ludwig Mallaun

Der Piz Buin hat das Glück, dass sich das Rätoromanische im Engadin erfolgreich gegen das Vordringen des Alemannischen gewehrt hat. Denn "Ochsenspitz" – das wäre der deutsche Name – hätte der Chemiker Franz Greiter seine berühmte Sonnencreme, die erste mit einem Lichtschutzfaktor, sicher nicht genannt.

Das zweite Glück des Berges ist, dass eine seiner Seiten in Vorarlberg zum Liegen kommt. Denn für die Schweizer, die die andere Hälfte für sich beanspruchen, ist ein Alpengipfel mit seinen 3.312 Metern wirklich nichts Besonderes; selbst im Silvretta-Massiv gibt es größere. Und auch die Tiroler, denen der Grund und Boden am und auf dem Berg gehört – genau gesagt der Gemeinde Galtür im Paznauntal, die 1904 die Weidefläche den Schweizern abgekauft hat -, besitzen mehrere Gipfel in dieser Preis- und Höhenklasse.

Spitze im Ländle

Aber in Vorarlberg ist der Berg mit dem wohlklingenden Namen einsame Spitze. Und so setzte bald nach der Erstbesteigung am 14. Juli 1865 im jungen Ländle, das sich erst kurz davor von Tirol gelöst hatte, eine wahre Piz-Buin-Euphorie ein. Die ersten auf dem Gipfel waren – oje – ein Wiener Kaufmann, ein Schweizer Alpinist und zwei Tiroler Bergführer. 1866 kam es dann zur wahren – sprich: Vorarlberger – Erstbesteigung vom Montafon aus, und in den Jahren darauf wurde der Berg vielfach beschrieben, gemalt, besungen und bestiegen. Der "Mythos Piz Buin", wie es der Schweizer Kulturhistoriker Bernhard Tschofen nennt, war geboren. Die Gipfelteilung schmälert den Stolz im Ländle nicht: Schließlich teilt man sich ja auch den Bodensee.

Und so war es kein Wunder, dass am 150. Jahrestag der Erstbesteigerung am vergangenen Dienstag eine Hundertschaft Richtung Piz Buin zog und sich unterhalb des Gipfelkreuzes drängte, darunter der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner, Blasmusiker, Kamerateams, aber auch ganz normale Bürger, die einfach nur dabei sein wollten, wenn Mensch und Berg sich ans historische erste Rendezvous erinnern. Ganz anders auf dem Matterhorn, das am gleichen Tag von einer englischen Seilschaft erstbestiegen wurde: Die Schweizer sperrten den Berg fürs Jubiläum, aus Pietät für die vielen Toten und wohl auch zur Vermeidung von zu viel Stau. Der Piz Buin, weltberühmt in Vorarlberg, hielt den Rummel hingegen aus.

Mittelschwere Gletschertour

An sonstigen Tagen ist auf dem Berg weniger los, doch ganz still ist es in der Hochsaison nur selten. Denn der Piz Buin ist ein beliebtes Ziel für Hobbybergsteiger, die eine mittelschwere Gletscher- und Klettertour erleben wollen. Der Aufstieg beginnt meist am Nachmittag: Mit Auto oder Bus kommt man über die Silvretta-Hochalpenstraße zur Bieler Höhe auf 2.030 Meter Seehöhe, von dort geht es in knapp zwei Stunden zuerst entlang des Silvretta-Stausees und dann auf einem breiten Gehweg zur Wiesbadener Hütte auf 2.443 Meter, wo man in ziemlichem Komfort übernachten kann. Vom Tal her ist der Piz Buin nicht zu sehen, aber über die Hütte thront er mit seinem markanten runden Gipfel.

Der Blick hinauf ist nicht ungetrübt: Zu sichtbar sind die Schäden durch die Gletscherschmelze. Und die bekommen auch die Bergsteiger zu spüren. Von Jahr zu Jahr schrumpfen die Schneefelder und geben Geröllhalden frei, die sie am nächsten Morgen erst mühsam überqueren müssen, bevor sie über die sogenannte Grüne Kuppe den Ochsentaler Gletscher erreichen. Nun geht es, ausgerüstet mit Steigeisen und Seil, erst steil, dann sanft aufwärts zur Buinlücke auf rund 3.050 Meter Seehöhe, die den Großen vom – kaum bestiegenen – Kleinen Piz Buin trennt. Im Winter und Frühjahr ist der Hang perfekt für Skitouren. Im Sommer hingegen verwandelt sich immer mehr Schneefläche in Blankeis und macht den Aufstieg ohne professionelle Führung zum Wagnis.

Kurze Kletterstellen

Der letzte Anstieg auf den felsigen Gipfel dauert noch etwa eine Stunde und führt über Blockwerk und kurze Kletterstellen auf ein kleines Plateau, an dessen höchstem Punkt das Gipfelkreuz steht.

Der Blick von oben ist grandios. Der Piz Buin steht mitten auf dem Hauptkamm, kein anderer Berg verstellt die Sicht in Richtung Engadin, Südtirol, ins Montafon oder zum Arlberg: schneebedeckte Berge, grüne Almen (in dieser Region Alpen genannt) und bis auf den Stausee und die Hütte weit unten im Tal kein Zeichen menschlicher Zivilisation.

Bis zu acht Stunden dauern Auf- und Abstieg von der Wiesbadener Hütte aus. Wer dies nicht auf sich nehmen will, belässt es mit einer gemütlichen Hüttenwanderung oder einer Umrundung des Stausees. Man muss den Piz Buin nicht besteigen, um ihn zu genießen. Der Blick allein lässt Vorarlberger Herzen höher hupfen. (Eric Frey, 20.7.2015)