Wien – So, wie er da über die Bühne fegte, imaginiert man Sex im Alter. Nicht schön, aber immer noch geil. Der Feger hieß Iggy Pop, suchte am Sonntag Wiesen heim und markierte beim Festival Two Days A Week den finalen Höhepunkt. Gleichzeitig gab er eine Nachhilfestunde im Pflichtfach Rock ’n’ Roll.

"No Fun" kann so lustig sein. Iggy Pop verspürt mit 68 noch reichlich Lust am Leben. So sehr, dass manchmal nur kaltes Wasser hilft.
Foto: Christian Fischer

Den reklamierte zwar zuvor die Berliner Band The Baseballs ebenfalls für sich, doch deren schmalzgelockte Annäherung an dieses ewige Manna der Weltjugend erschien wie die einer von Milchkaffee wachgehaltenen Mitternachtskapelle am Maturaball einer höheren Leeranstalt für Zucht und Ordnung. Ja, leer. So wie in: nichts drinnen. Kein Gefühl, keine Kraft, bloß hohle Gesten. Man war geneigt, für Krückstock und Rollstuhl zu sammeln angesichts der lahmen Vorstellung.

Leckt mich doch am Arsch

Dann aber kam er, Iggy Pop. Dieses Mahnmal der Ausschweifung, der Godfather des Punk. Geformt und deformiert vom Exzess und der Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst humpelte er auf die Bühne – die Hüfte ist im Arsch, die Knie sind hin – und brüllte zu den ehernen Riffs seiner Band "No Fun" in das Festivalgelände.

68 Jahre ist er alt, und er sieht keinen Tag jünger aus. Er entledigte sich seiner Lederjacke, der Rest waren Blut, Schweiß und Tränen. Grobes Handwerk, abgesichert von tausenden Auftritten, gute Laune und Klassiker des Fachs "Leckt mich doch am Arsch".

Foto: Christian Fischer

Ode an die Ausbeutung

Er stürmte in den Song "I Wanna Be Your Dog", in diese masochistische Ode an das Scheißsystem der Ausbeutung, anschließend in das hübsche "The Passenger", das seinem Nachnamen schmeichelt und ihn verdeutlicht. Da hatte er längst gewonnen, diesen Ort in der Fremde unterjocht. Ab da zog er die Schrauben an oder lockerte sie, je nach Laune.

"Iggy is King" stand schlicht getextet und schlecht gedruckt auf dem T-Shirt eines Fans zu lesen. Ob das stimmt oder nicht, sei dahingestellt. Es illustrierte jedoch das Ausmaß der Verehrung, die diesem bürgerlich James Osterberg gerufenen Mann entgegengebracht wird. In den späten 1960er-Jahren kam er mit der Band The Stooges von Detroit aus über die Welt. Drei Alben entstanden zwischen 1969 und 1973, die den Geist und die Form des Punk um Jahre vorwegnahmen und heute zu den zentralen Werken des Rock ’n’ Roll und seines Irrsinns zählen.

Nach den Stooges folgten Jahre der Ausschweifung, bis David Bowie, ebenfalls nicht gerade in seiner gesündesten Phase, Iggy Pop unter seine Fittiche nahm und mit ihm 1977 das Album "The Idiot" produzierte. Aus dieser Schaffensperiode spielte er die toxisch aufgeladenen Songs "Nightclubbing" und "Sister Midnight", dazwischen fröhliches Liedgut wie "Lust for Life" oder "Real Wild Child". "Thank you fucking very much", quittierte er grinsend den Zuspruch in Form von Applaus und fliegenden Getränkebechern.

Foto: Christian Fischer

Offene Hose

Während die Hippies in den 1960ern den "Summer of Love" zelebrierten, zog Iggy mit den Stooges das Jahr 1969 vor. Rassenunruhen und "war across the USA", der mit Sex und Drogen verdrängt wurde. Dafür knöpfte sich der Alte heute noch die Hose auf, lockerte den Gürtel und senkte den Bund auf Bereitschaftshöhe. Um nicht von sich selbst übermannt zu werden, kühlte er sich und seinen Schlingel mit kaltem Wasser ab, der Intensität des Songs "1969" tat das keinen Abbruch.

Iggy Pops Kunst ist angesiedelt zwischen Ausschweifung und Langeweile. Zwischen "Funtime" und "I’m Bored". Dazwischen wird Zeit totgeschlagen und wer ihm sonst noch in die Quere kommt. Ein Iggy-Pop-Konzert erinnert an den Spaß an der Abgrenzung, an die Vergnügungen arroganter Ablehnung.

Lustvoll reibt er sich an den Berührungspunkten mit der sogenannten bürgerlichen Gesellschaft, der so entstehende Funkenflug wird mit all seiner Verbrennungsgefahr dem Publikum um die Ohren geknallt. Roh und triebhaft. "Instinct keeps me running", hat er einst gesungen. Das gilt. Der Geist des Rock ’n’ Roll und seines Wiedergängers Punk im Schraubstock der Gehässigkeit. "No Fun" kann so lustig sein.

Foto: Christian Fischer

Geben und nehmen

Und Iggy Pop ist der Großmeister dieser Lust. Ein vielfältiges und vielfaltiges Rumpelstilzchen, bei dem nur die perfekten dritten Zähne verraten, dass sich selbst dieser freie Radikale an den Zitzen des Kapitalismus nährt. Andererseits wird für ihn niemand anderer als er selbst ausgebeutet. Sein Körper ist ihm da Zeuge. Iggy Pop gibt mehr, als er nimmt. Beides sei ihm und seinem Publikum noch lange vergönnt. (Karl Fluch, 20.7.2015)