
Wahnwitz in der Mauerstadt: Die Dokumentation
"B-Movie" erzählt davon.
Wien – Es ist en vogue geworden, dass Veteranenbewohner cooler Städte deren wilde Vergangenheit memorieren und preisen. New York, als die Lower East Side noch so herrlich abgefuckt und gefährlich war, oder Berlin, als es noch die Mauerstadt war. Jenseits der Mauer schien alles verboten zu sein, diesseits nahm man sich alles ohne Erlaubnis. Westberlin schien eine Enklave der Gesetzlosigkeit zu sein, in der der kreative Irrwitz nachweislich blühte und an die man Jugend und Leber gerne verschwendete.
Mark Reeder aus Manchester hat einen Film über dieses Westberlin gedreht. 1979 arbeitet er im Virgin Record Store in Manchester und verfällt dort deutscher Popmusik jener Zeit, sie ist so exotisch. Der Musiker, Produzent, Schauspieler und Autor beschließt, nach Berlin zu ziehen.
Joy Division vor 150 Leuten
"B-Movie: Lust und Sound in Westberlin" ist eine Montage aus Filmchen und Fundstücken, die Reeder in den Jahren zwischen 1979 und dem Mauerfall 1989 gedreht hat. Entstanden ist ein Mosaik an Erinnerungen an wilde Zeiten und ihre Protagonisten. Wobei Reeder sich den Vorwurf der Eitelkeit gefallen lassen muss, denn die Inszenierung seiner selbst als Erzähler kommt dick daher.
Andererseits hat er ordentlich mitgemischt: Er veranstaltete als Beauftragter des Factory-Labels das einzige Deutschlandkonzert von Joy Division im Kant Kino. Ein Reinfall vor 150 Leuten. Es heißt, der Auftritt inspirierte die Band zu ihrem Lied "Komakino".
Reeder war Soundmann der Toten Hosen, Freund der Ärzte, Manager von Malaria!. Nick Cave wohnte bei ihm, er war befreundet mit Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten, dem Fotografen Jim Rakete und Regisseur Jörg Buttgereit, und er berichtete für die BBC über Musik aus Berlin. Das wirkte sich günstig auf Reeders Materialsammlung aus, zudem unterstützten ihn die Regisseure Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange mit Material.
"Disneyland für Depressive"
"B-Movie" schwelgt im Charme désolé der vom Krieg gezeichneten Stadt. Aus kurzen Interviews mit Musikern umreißt er das Lebensgefühl, das für ihn die Band Ideal mit dem Lied "Ich steh auf Berlin" zusammengefasst hat.Tilda Swinton radelt durchs Bild, Keith Haring bemalt die Mauer, Aids kannte niemand, sogar die Toten Hosen und die Ärzte schienen noch erträglich zu sein. Und als einer der wenigen besucht Reeder wiederholt Ostberlin, dieses "Disneyland für Depressive".
"B-Movie" ist ein hübsches Guckloch in die Vergangenheit, interessant vornehmlich für jene, die mit dieser Zeit und ihrer Kultur bereits vertraut sind. Reeder hält drauf bis zum Mauerfall, bis zur ersten Love Parade, an der er als einer von hundert Verstrahlten teilnimmt. Später gründet er das erste Trance-Label Deutschlands. Es heißt MFS, Abkürzung für "Masterminded For Success". Kurz zuvor stand das noch für Ministerium für Staatssicherheit in der DDR. Lustig. (Karl Fluch, 20.7.2015)