Ben Katchors Comics sezieren das Leben in den US-amerikanischen Städten.

Foto: Ben Katchor / Sommerakademie Salzburg

Räume, die man sich zu betreten versagt: Ausschnitt aus "Forbidden Rooms" (2015) von Ben Katchor.

Foto: Ben Katchor

Ben Katchor, geboren 1951 in Brooklyn, gehört zu den stilbildenen US-Comiczeichnern. Er veröffentlicht unter anderem im "New Yorker" und in "Metropolis".

Salzburg – Es sind die Orte, an denen wir leben und arbeiten, die urbane Architektur und unsere Konsumgüter, die Ben Katchor in seiner neuesten Comicstrip-Sammlung "Hand-Drying in America" ins Visier nimmt. Bizarr und surreal – wie immer – sind die Situationen, die der New Yorker Cartoonist entwirft und dabei mit sozialkritischem Unterton viel darüber verrät, wie unsere Besitztümer kulturelle Werte beeinflussen und widerspiegeln.

Diese Woche ist Katchor in Salzburg zu Gast: Als Lehrender an der Sommerakademie betrachtet er Comics in der Tradition theatraler Erzählformen und spricht dort am Dienstag auch über seine Arbeit.

Mini-Feature zu Ben Katchor anlässliche einer Ausstellung 2014 im Tang Museum
The Tang Museum

STANDARD: Das Motto der Sommerakademie lautet heuer "Bedeutung herstellen". Es geht um Sinnhaftigkeit als alternativen Erfolgsmaßstab. Können Sie sich damit identifizieren?

Katchor: Die sozialen und wirtschaftlichen Einschränkungen eines Cartoonisten sind vermutlich weniger gravierend als in anderen Kunstsparten: Die Arbeiten sind billig herstellbar, brauchen nicht viel Raum zum Lagern. Unglücklicherweise sind jedoch die Comics mit der geringsten Bedeutung oft die erfolgreichsten.

STANDARD: Und wie erklären Sie sich die steigende Popularität von Graphic Novels?

Katchor: Für die junge Generation ist heute ganz klar, dass Kommunikation mit dem ganzen Spektrum arbeiten muss: mit Text, Bild und Klang. Überdies sind Comics wie Poesie oder Belletristik mittlerweile eine anerkannte Kunstform, die an Universitäten unterrichtet und in Literaturzeitschriften besprochen wird. Junge Leute haben daher nicht mehr das Gefühl, es wäre beruflicher Selbstmord, in diesem Feld zu arbeiten.

STANDARD: Sie studierten Kunst, haben aber dann beschlossen, dass die Malerei nicht ausreicht. Warum?

Katchor: Wenn man möchte, dass der Leser die Freiheit hat, eigene Geschichten zu erfinden, sollte man ihn sich selbst überlassen, ihm keine Ideen aufzwingen. Ich will aber genau das Gegenteil anbieten: eine voll durchgestaltete Text-Bild-Welt, die in Zeit und Raum existiert. Von Einzelbildern habe ich mich entfernt, weil ich mich ganz den theatralen Erzähltraditionen widmen wollte. Um Zeit zu dokumentieren, nutze ich vor-filmische Techniken, also (Buch-)Seiten mit mehreren Bildern. Die von mir angeschnittenen Themen möchte ich auch mit Text und Bildern weiterführen und die Deutung auch nicht Kunstkritikern, Lesern oder Historikern überlassen.

STANDARD: Ausufernde Geschichten sind aber auch nicht Ihres.

Katchor: Ich glaube, dass ich eine komplette Erzählung in acht bis 20 Zeitbewegungen darstellen kann. Kurze Arbeiten sind mir lieber. Die Leser sollen sich nicht in eine fiktionale Welt flüchten. Sie sollen lieber mit einem erneuerten Gefühl für kreative Möglichkeiten in ihr Leben zurückkehren. Das Vergnügen, das sich beim Lesen über die komplexen Themen einstellt, soll dazu inspirieren, die Welt in neuem Licht zu sehen.

STANDARD: Ihr Vater hat sich mit kommunistischen Ideen auseinandergesetzt. Hat das auch Sie geprägt?

Katchor: Mein Vater war eher ein utopischer Sozialist, der sich für Möglichkeiten gemeinschaftlicher Organisation interessierte, er war aber kein Parteimitglied. Aufgewachsen unter diesem Einfluss konnte ich die Vergänglichkeit der Geschäftswelt wahrnehmen, aber auch, dass eine andere Ordnung möglich wäre.

STANDARD: Ist die soziale Verantwortung des Staates ein wichtiges Thema für Sie?

Katchor: Ich neige dazu, eher Geschichten über die Mechanismen und Effekte des Kapitalismus zu zeichnen als Utopien über andere Systeme. Einige meiner Geschichten verweisen auf Konzepte sozialer Verantwortung oder die Auswirkungen, wenn man sich dieser Verantwortung entzieht.

STANDARD: Glauben Sie an die politische Signifikanz des Mediums Comicstrip?

Katchor: Ja, jedes menschliche Handeln hat eine politische Bedeutung.

STANDARD: Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" wurde heftig diskutiert, was (politischen) Cartoons erlaubt sein sollte. Haben Sie irgendwelche Schlüsse aus dieser Debatte gezogen?

Katchor: Ich bin überzeugt davon, dass religiöse Fundamentalisten und fanatische Unterstützer von nationaler und ethnischer Identität zur psychiatrischen Behandlung eingewiesen werden sollten.

STANDARD: Wieso vergleichen Sie Comics mit dem Theater?

Katchor: Theater war der erste Ort, an dem Geschichten durch Sprache und Darstellung erzählt wurden. In meiner Kindheit war dieses Konzept vor allem in Kino und Fernsehen umgesetzt. In ihrer ursprünglichen Text-Bild- Form waren Comics also die ersten Versuche, einen theatralen Vorgang grafisch darzustellen. (Anne Katrin Feßler, 20.7.2015)

Kurzfilm (4min10) über Ben Katchor und seinen Band "Julius Knipl, Real Estate Photographer" aus dem Jahr 2000
Liam Romalis