True Love für "True Detective" oder: Worum zur Hölle geht es eigentlich? Wir haben nun einige Folgen der zweiten Staffel gesehen und fragen uns, ob nur wir nicht begriffen haben, was der Fall ist. Es ist sehr schön, ja. Aber warum schauen die alle immer so streng? Und wird da überhaupt ermittelt? Aber vielleicht geht es nicht um den Inhalt. Oder es wird alles später besser? Aber lesen Sie selbst. Zur Einstimmung schon einmal der Trailer. Auch da wird viel in der Gegend herumgeschaut.

Spoiler-Alert: Selbst wenn wir versuchen, uns zurückzuhalten, wir besprechen die Handlung der zweiten Staffel. Wenn Sie also nichts davon wissen wollen, bevor Sie es selbst gesehen haben, dann Vorsicht.

Der offizielle Trailer zur zweiten Staffel "True Detective". Heimlicher Hauptdarsteller ist übrigens Colin Farrells Bart.
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Doris Priesching: Also zuerst einmal kann man sagen, und ich denke, ihr stimmt mir zu: Es ist betörend schön fotografiert. Der Titelsong von Leonard Cohen ist total lässig und überhaupt.

Julia Meyer: Ja, das Intro ist schon wie in der ersten Staffel großartig. Wobei ich Musik und Show in der ersten Staffel stimmiger zueinander fand. Ist vielleicht Hinweis eins, wieso ich mir mit der zweiten Staffel irgendwie schwertue.

Daniela Rom: Schwertun ist gut. Für mich heißt die zweite Staffel eigentlich "Männer, die urböse/urarm/urfertig schauen". Sie schauen sich gegenseitig an, schauen in die Luft, in die Ferne, auf Leichen oder Frauen. Es ist ein großes bedeutungsschwangeres, testosteronhältiges Geschau. Ich hoffe ja immer noch, dass es noch etwas wird und die Geschichte Fahrt aufnimmt. Es schlurft alles ein bisschen vor sich hin. Von Anfang an skeptisch war ich Vince Vaughn gegenüber – das hat sich (noch) nicht geändert. Ich nehme ihm den harten Gangster einfach nicht ab, und eigentlich geht er mir mehr auf die Nerven, als mich interessiert, was denn nun hinter Frank steckt.

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Frank Semyon (Vince Vaughn) looking at things.
Foto: Lacey Terrell/HBO via AP

Michaela Kampl: Diesmal bin ich unschlüssig wie sonst kaum. Bei der ersten Staffel war nach fünf Minuten klar, dass das supergut ist. Nach drei Folgen der neuen Staffel bin ich verstört und verwirrt. Ja, schön ist es, aber: Die Stadt als Kulisse, die eigentlich mehr eine Industrielandschaft mit massig Autobahnknoten ist, funktioniert für mich weniger gut als das sumpfige, düstere, morsche Louisiana. Dabei geht es aber nicht um das Setting an sich, ich finde es nur weniger gut umgesetzt: Die atmosphärischen Zwischenschnitte von den Autobahnen, die in ihrer Symmetrie und Ruhe auch etwas Schönes haben, sind beim ersten Mal super – wenn ich das dann aber jedes Mal als Zwischenschnitt präsentiert bekomme, nutzt sich der Effekt ab.

Julia Meyer: Es ist halt alles nervöser. Es gibt mehr Figuren und mehr Orte, und die atmosphärische Dichte gelingt vielleicht auch deswegen nicht so gut. Obwohl viele Handlungsstränge und Komplexität, siehe "Game of Thrones", ja kein Hindernis für die Kompaktheit einer Serie sein müssen. Für mich nutzen sich die Zwischenschnitte allerdings eher ab, als dass sie das Ganze ästhetisch zusammenhalten. Aber ja, vor allem die Autobahnaufnahmen, die wunderschön sind, wirken ein wenig wie ein ständiger Verweis darauf, dass wir uns in einem urbanen Moloch befinden, wo sich keiner auskennt, es aber eine strikte innere Logik gibt. Das kann man durchaus als erzwungen empfinden. Die Figuren wirken ein bisschen wie aus Staffel eins kopiert, mit dem Wissen, dass man halt nicht kopieren sollte. Die traurigen traurigen Männer, die sich in der Welt nicht mehr auskennen.

Daniela Rom: Und alle traurigen Männer sind sehr bemüht, sehr traurig zu schauen. Damit wir ja verstehen, dass sie voll traurig sind und fertig und überhaupt. Und wer es nach zehn Minuten noch nicht kapiert hat, dem setzen wir noch einen hin, der auch traurig schaut, während er sich ein Viagra einwirft. Es ist schon sehr Holzhammer, was da an Gefühlswelt präsentiert wird.

Veranschaulichungsmaterial: Die Regieanweisung lautete wohl "Schaut einfach ganz bedeutungsvoll" – die Ergebnisse sind unterschiedlich.
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Doris Priesching: Bei den Figuren bin ich vom Männlichkeitswahn zusehends genervt. Das war ja schon in der ersten Staffel am Rande des Erträglichen. Frauen waren entweder tot oder mussten sterben. Es gab das Bild "Hure oder Heilige" – und das ist dieses Mal kaum anders. Frauen sind auch dieses Mal ohne Macht und in einer Welt, die von Männern gelenkt wird. Diese Welt gerät zwar aus den Fugen, aber dass die Ordnung wiederhergestellt wird, daran hat garantiert keine Frau Anteil. Sie sind lediglich Kulisse für männliche Befindlichkeiten. Ich meine zum Beispiel die Szene am Beginn der zweiten Folge. Von der Seite hört man sie flüstern, aber im Grunde geht es um ihn, um sein Geständnis. Wir sollen sehen: Hier öffnet sich gerade jemand, wow! Klärt mich auf, liege ich falsch?

Michaela Kampl: Auch da bin ich zwiegespalten. Aber ja, die Szene, in der Vince Vaughn alias Frank Semyon aus seiner Kindheit erzählt, ist mir auch irrsinnig auf die Nerven gegangen. Vielleicht eh, weil es so superemotional inszeniert wird. Da ist der Gangster, der aber ganz tief in seinem Inneren einfach nur ein verängstigtes Kind ist. Das nervt. Das ist oberflächlich. Das kommt auch bei den anderen Charakteren durch. Die Detektivin spielt die Harte und hatte eine komische Hippie-Kommunen-Kindheit. Und Colin Farrell als abgewrackter, korrupter Polizist, der eigentlich auch nur hinig ist, weil schwierige Vergangenheit und wahnsinnig kompliziertes Verhältnis zu seinem Sohn. Ich finde gar nicht einmal, dass die Frauenfiguren besonders mies geschrieben sind, es sind einfach alle nicht besonders gut. Aber dann auch nicht wirklich schlecht. Es ist so bemüht, so verkrampft. Aber eben nicht schwarz-weiß und doch wieder komplizierter.

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Paul Woodrugh (Taylor Kitsch) looking at things.
Foto: Lacey Terrell/HBO via AP

Daniela Rom: Ich sehe das ähnlich wie Doris – die Frauen sind eigentlich nur da, um die waaaaaaaaaaahnsinnig komplizierten Gefühlswelten und tragischen Lebensentscheidungen der Herren zu erklären. Nehmen wir nur die Ex-Frau von Ray (Farrell). Weil seine Frau vergewaltigt wurde und der Vergewaltiger höchstwahrscheinlich der Vater von dem Buben ist und Ray seine Frau gerächt hat, ist er jetzt ein kaputter, versoffener, korrupter Polizist. Die Ex-Frau ist nur Schablone. Was es mit der Beziehung zwischen Paul (Kitsch) und seiner Mutter auf sich hat, weiß ich auch noch nicht. Es gibt da so ein creepy sexuelles Element, das ich nicht deuten kann. Zugute halten muss man Staffel zwei die weibliche Detektivin, die meiner Meinung nach auch die spannendste Figur ist; und diejenige, die die am wenigsten platte Geschichte hat. Zumindest wird es bei ihr (die Hippie-Kommune, die tote Mutter, die drogenabhängige Schwester) nicht ganz so supersimpel erzählt wie bei den Herrschaften.

Julia Meyer: Ich finde die Frauenfiguren diesmal eigentlich nicht so schwach geschrieben wie in der ersten Staffel. So gut ich diese fand, die Frauen waren grauenvoll konzipiert und eigentlich auch gespielt. Aber da hat's die Inszenierung irgendwie getragen.

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Auch Ani Bezzerides (Rachel McAdams) is looking at things.
Foto: Lacey Terrell/HBO via AP

Doris Priesching: Klar sind da Brüche, Viagra, schlaflose Nächte, es wird ja sogar ironisch thematisiert – "I support feminism. Mostly by having body-image issues" –, eh lustig. Und es gibt – aber hallo! – auch eine Ermittlerin. Die ist allerdings von der Figur her auch mehr Mann als Frau – wie sie mit Job und Beziehung umgeht und so. Mir ist klar, dass hier ein Genre zitiert wird und dass es in diesem einst ebenso zuging. Aber soweit ich das erkennen kann, sind wir ja in der Gegenwart, oder?

Julia Meyer: Du meinst mit Genre vermutlich Film noir, oder? Ich weiß nicht, ob ich mit der Frauenfigur so hart wäre. Ob sie "männlich" agiert oder nicht, finde ich schwierig zu beurteilen. Ich finde sogar, dass sich die Serie bemüht, diese Kategorisierungen zumindest zu problematisieren. Dass es dann wegen des Zitathaften auf eine "Lonely Wolf"-Geschichte hinausläuft, ist halt Teil des Konzepts. Und die weibliche Hauptfigur passt sich dem an. Wäre das Ganze etwas spielerischer angelegt, würde es nicht so aufgesetzt wirken. Ist halt zu viel. Da denkt man eben noch: Ach, der arme Autobahnpolizist. Das ist ja auch wirklich schrecklich. Und dann: Hui, jetzt wird aber dick aufgetragen, das kann selbst dieses traurige Gesicht nur schwer spielen, hoffentlich muss er nicht gleich so lachen wie ich.

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Matthew McConaughey als Rust Cohle und Woody Harrelson als Martin Hart versuchten in der ersten Staffel ihren Fall zu lösen. Durchaus auch einmal mit Schauen.
Foto: AP /HBO, Michele K. Short

Doris Priesching: Nic Pizzolatto, der die Serie schrieb, soll übrigens an dieser Staffel nur noch am Rande mitgewirkt haben. Was mich wundert. Denn diese zweite Staffel trägt meiner Meinung nach sehr deutlich seine Handschrift. Er hat ja schon in dem Kriminalroman "Galveston" das Thema "Einsamer Held rettet verängstigte Schöne vor skrupellosen Verbrechern" bearbeitet, also auch diese Mann-Frau-Kiste gespielt. Und er versteht sein Geschäft, hat Krimischreiben quasi studiert und unterrichtet Fiction und Literatur. Er war Showrunner bei der amerikanischen Version von "The Killing". Nach drei Folgen kann ich also schon sagen, dass mir die erste Staffel besser gefallen hat, weil mir die Atmosphäre in den Sümpfen besser gefiel, weil mich das Mysterium um Matthew MacConaughey und Woody Harrelson viel mehr fesselte als dieser Fall.

Michaela Kampl: Bis jetzt weiß ich noch immer nicht, was genau der Fall ist. Es ist alles sehr schwammig, sehr düster und wabernd. Das ist nichts, was ich nicht mag. Aber gerade zieht es sich, und ich sehe nicht, wohin es geht. Mittlerweile glaube ich, das ist Absicht. Also, es geht um Atmosphäre und Stimmungen und nicht um Inhalt.

Julia Meyer: Gut, dass du das sagst. Beruhigt mich. Denn: Worum zur Hölle geht es genau? Die einzelnen familiären Problematiken, Fruchtbar- oder Unfruchtbarkeiten, sexuellen Problemen, Alkohol und Viagra-Konsum, denen kann ich folgen. Aber dann fühle ich mich irgendwie dumm.

Auch wenn man es nach dem Schimpfen nicht glauben mag: Ungern schaue ich die Staffel auch nicht. Ich finde gerade den Umstand, dass ich nicht weiß, ob ich es bescheuert oder gut finde, ganz reizvoll. Wie auch die Schauspielerinnen und Schauspieler: Zwischen dem Urteil "Fehlbesetzung" und "großartig" ist bei mir oft nur ein schmaler Grat.

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Einmal geht's noch: Ray Velcoro (Colin Farrell) und sein Bart.
Foto: Lacey Terrell/HBO via AP

Daniela Rom: Die beste Besetzung in der Serie ist der Bart von Colin Farrell. Aber ernsthaft: Mein Problem ist gar nicht, dass ich es bescheuert finde. Ich finde es einfach ziemlich fad. So wie eingangs erwähnt hoffe ich aber immer noch darauf, dass die einzelnen Fäden ein großes lässiges Ganzes ergeben und Staffel zwei nochmals Gas gibt. Eigentlich war es in der ersten Staffel nicht viel anders: Klar hat die vor allem von Matthew McConaughey und Woody Harrelson gelebt und den Figuren, die sie verkörperten. Aber die Geschichte ist auch recht langsam entwirrt worden, und vom Schluss war ich dann eher enttäuscht, weil sich das alles so gut aufgebaut hatte und dann am Ende eher mau ausgegangen ist. Für den Gesamteindruck hat das Ende aber nichts ausgemacht. Vielleicht ist es bei Staffel zwei ja dann umgekehrt: mauer Anfang und Megaende.

Michaela Kampl: Ich packe auch die Dialoge nicht. Die Reden wie bei "The Godfather". Immer das große Ganze in einem Satz erklären wollen. Immer eine letzte, alles umfassende Aussage. Immer g'scheit. Und es erinnert mich auch an "Heat" – vor allem bei den Gesprächen zwischen Vince Vaughn und Colin Farrell an dem Tisch in dieser versifften Bar. So von wegen: Polizisten und Verbrecher sind zwei Seiten derselben Medaille. So wie – und jetzt kommt ein Zitat: "Schatten und Licht. Das eine gibt's ohne das andere nicht."

Julia Meyer: Vermutlich ist halt alles metameta. Die Postmoderne ist nun einmal kein Ponyhof. (Michaela Kampl, Julia Meyer, Doris Priesching, Daniela Rom, 22.7.2015)