Das Netzwerk der Wohlfahrt muss engmaschiger werden. Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die geplante Schaffung der Erwachsenenvertretung, die die Sachwalterschaft ablösen soll.

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Herr S. ist noch unentschlossen. Soll er auf der Suche nach einer Partnerin eine Anzeige schalten oder es bei Elizabeth T. Spiras Liebesg' schichten und Heiratssachen versuchen? Bei der Liebe will er sich jedenfalls nichts dreinreden lassen, das habe er seiner Sachwalterin, Margot Artner, schon klargemacht. Und die hat auch gar nichts dagegen. Im Gegenteil: "Eine Sachwalterschaft bedeutet nicht, dass betroffene Personen dauernd um Erlaubnis fragen müssen und keine Privatsphäre mehr haben", sagt die Rechtsanwältin aus Wien. Herr S. verdankt ihr nicht nur seine kleine Wohnung. Alleine hatte sich der Frühpensionist auf dem Behördenweg zur sozialen Absicherung heillos verirrt.

Nicht immer verläuft das Verhältnis von Sachwaltern und Klienten beziehungsweise deren Angehörigen so harmonisch. Seit 2003 hat sich die Zahl von Sachwalterschaften in Österreich auf heute 60.000 verdoppelt. Damit verbunden ist auch ein Anstieg von Beschwerden bei der Volksanwaltschaft. 233 waren es im Vorjahr, um ein Viertel mehr als 2013. Fast immer geht es darum, dass betroffene Personen Einschränkungen des gewohnten Lebens beklagen.

Geringes Taschengeld

Als Beispiel nennt die Volksanwaltschaft den Fall einer 90-jährigen ehemaligen Zahnärztin, der trotz einer Pension von 4000 Euro monatlich vom Sachwalter nur ein geringes Taschengeld zugestanden werde. Ein wiederkehrender Kritikpunkt von Betroffenen und deren Angehörigen sei, dass Immobilien ohne Zustimmung oder sogar gegen den ausdrücklichen Willen der betroffenen Personen veräußert würden. Oft werde dahinter finanzielles Eigeninteresse der Sachwalter vermutet.

Ist einmal ein Sachwalter bestellt, haben nahe Angehörige oder Freunde von Betroffenen keine Parteistellung vor Gericht und daher auch kein Antragsrecht, kritisiert die Volksanwaltschaft.

Das könnte sich schon bald ändern. Im Justizministerium wird derzeit eine umfangreiche Novelle des 30 Jahre alten Sachwalterrechts vorbereitet. Im Kern geht es darum, die Hilfestellung auf konkrete Situationen zu beziehen. Es soll also nicht mehr wie bisher einen Sachwalter für alle Angelegenheiten geben. Die Hilfestellung durch einen Vertreter soll sich auf klar zugeschnittene Lebenssachverhalte wie etwa den Wechsel in ein Heim beziehen.

Außerdem soll die Beendigung einer Sachwalterschaft erleichtert werden. Überlegt wird, Vertretungsverhältnisse mit einer Frist zu versehen. Im Rahmen der Novelle, deren Umsetzung für Herbst 2016 angepeilt ist, soll überhaupt der Begriff Sachwalterschaft fallen. Stattdessen wird mit großer Wahrscheinlichkeit die "Erwachsenenvertretung" eingeführt.

Minister für alternative Hilfe

"Ziel dieser Reform ist unter anderem, den Vorrang alternativer Unterstützungsmöglichkeiten zu betonen", sagt Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP). Der Zugang zu öffentlichen Leistungen sei für viele Menschen beschwerlicher geworden. In vielen Fällen gehe es aber auch um bloße Unterstützung und Zuwendung. "Hier hat die Sachwalterschaft eine Lückenbüßerfunktion eingenommen, weil andere Hilfen fehlen", so Brandstetter zum STANDARD.

Damit verbunden müsse aber unbedingt ein genereller Ausbau des Betreuungsangebots sein, sagt Rechtsanwalt Christian Burghardt, der gemeinsam mit Kollegin Margot Artner die Sachwalterschaftinitiative Life Support gegründet hat. Das größte Problem sei, dass es momentan keine flächendeckende Erwachsenenwohlfahrt gebe. Was im Zusammenspiel der sozialen Institutionen oft zu skurrilen Auffassungen über die Funktion einer Sachwalterschaft führe. "Krankenhäuser stellen etwa häufig Anträge auf Vertretung für demente Patienten ohne Angehörige, um Spitalsbetten freizubekommen", so Burghardt. Denn ein bestellter Sachwalter müsse sich dann um eine Pflegestelle kümmern.

Für die Aufwandsentschädigung eines Sachwalters gibt es Bestimmungen, die sich an den finanziellen Verhältnissen der Betroffenen orientiert. Doch Burghardt und Artner vertreten auch Klienten, die nicht einmal die Barauslagen bei Behörden bezahlen können. Sie fordern, dass es in derartigen Fällen, wie bei Sachwaltervereinen üblich, Entschädigung durch die öffentliche Hand geben solle.

Immer mehr junge Klienten

Einmal pro Woche gibt es in Artners Büro einen Jour fixe für Klienten. Bei Kaffee und Kuchen helfen Sozialfachkräfte bei alltäglichen Problemen. Was auffällt, ist der hohe Anteil junger Klienten. Deren Zahl nehme zu. Oft stecke dahinter eine psychische Erkrankung oder eine Suchtproblematik. Es gebe auch immer mehr junge Leute mit verzögerter Reife, die anspruchsvolleren Anforderungen im Geschäftsverkehr (noch) nicht gewachsen seien.

Beim Jour fixe sitzt eine junge Frau mit bandagiertem Arm. Sie hat auf ihren Arzttermin vergessen. Ein Taxi ist schnell bestellt, die Rechnung bezahlt die Sachwalterin im Voraus. (Michael Simoner, 23.7.2015)