Neben dem Ungeist freiheitlicher Ausländerhetze muss sich die SPÖ in Wien nun auch noch mit dem Gespenst einer Migrantenliste herumplagen. Eine solche würde, sollte sich das Gespenst materialisieren, was noch nicht ausgemacht ist, den Sozialdemokraten schaden, weil die unter wahlberechtigten Migranten bisher stark vertreten waren. Als Nutznießer gelten jene, die das Recht, wahlwerbend aufzutreten, als ein geheiligtes Vorrecht "unserer Leut'" betrachten und es auf diese beschränkt wissen wollen.

Es sind aber nicht nur Interessenten an einer listenmäßigen Verankerung der türkischen AKP, die die FPÖ in Wien auf Kosten der SPÖ stärken würden. Man muss nicht türkischer Migrant, man kann auch burgenländischer Landeshauptmann sein, um der Strache-Partei zum Schaden der eigenen auf die Sprünge zu helfen. Anfang der Woche hat er dieser Zeitung ein Interview gegeben, das interessante Einblicke in die Denkweise eines sozialdemokratischen Politikers in Zeiten wie diesen gewährt. Im Bemühen, zu erklären, warum er im Widerspruch zu einem Grundsatzbeschluss der Partei eine Koalition mit der FPÖ einging, stilisierte er sich zum Arzt am Krankenbett einer komatösen Sozialdemokratie, die anders nicht mehr zu retten war: "Hätten wir gemacht, was viele glauben, dass wir hätten tun sollen, dann wäre die Sozialdemokratie im Burgenland tot gewesen."

Unter wessen jahrelanger Führung die Genannte in den beklagenswerten Zustand geriet, der sie so knapp am Tod vorbeischrammen ließ, blieb geflissentlich unerwähnt. Die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte sollte vor allem dann nicht überbewertet werden, wenn es gilt, ihr den Sessel des Landeshauptmannes zu erhalten. Wo das Hemd näher bleiben soll als der Rock, darf man einer angeblich Moribunden auch jenes Medikament in der blauen Verpackung verabreichen, das ihr Leiden verursacht, soweit es nicht selbstverschuldet ist – die paradoxe Intervention als Mittel, die SPÖ wenigstens als Niessl-SPÖ zu erhalten.

So etwas wie Solidarität über die Landesgrenzen hinaus ist ohnehin obsolet. "Wir vertreten eben den ländlichen Raum. Den gibt es in Wien gar nicht", kehrt Niessl den Geolokalpolitiker heraus. Dass man nach einer verlorenen Wahl im ländlichen Raum auch anders reagieren kann, hat der Landeshauptmann der Steiermark vorgeführt, allerdings auch kein zwingendes Vorbild. Ob die fremdenfeindliche Hetze der FPÖ im ländlichen Raum zur Koalitionsfähigkeit adelt und nur in der Großstadt peinlich berührt, müsste ebenso einmal untersucht werden wie die Frage geklärt, ob sich die SPÖ in ihrem neuen Programm aufgrund von Niessls Anregung vielleicht getrennte Grundsätze für Stadt und Land zulegen will, nach dem Motto: Landluft macht frei von Hemmungen.

Manche werden auch der FPÖ dankbar sein, dass sie sich geopfert hat, der sonst todgeweihten burgenländischen SP noch einmal Leben einzuhauchen. Nicht auszudenken, hätte sie sich mit dem Hinweis verweigert, bei der SP-internen Befragung hätten nur 89 Prozent dafür gestimmt, mit allen zusammenzuarbeiten, "die wollen". Da fehlen doch elf Prozent. (Günter Traxler, 23.7.2015)