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Frankreichs Regierung weiß auch keinen Ausweg. Also versuchte sie den aufziehenden Konflikt in der Provinz zuerst zu ignorieren, was die Rebellen nur noch wütender machte.

Foto: Reuters/Pratta

Ein Traktor ist zwar kein Panzer – aber wenn 300 dieser Ackergefährte über die Autobahn anrollen, wirkt das fast so imposant wie der Zusammenzug einer mobilen Armee. In Lyon zeigten die Landwirte am Donnerstag auf diese Weise ihre Muskeln. Auf vorsichtige Weisung von oben sahen die Gendarmen tatenlos zu, wie Milchbauern, Rind- und Schweinezüchter die Autobahnen A6 und A7 im Rhonetal blockierten. An den Sperren steckten sie Reifenhaufen in Brand oder leerten Dung oder Rübengemüse aus.

Außerhalb von Lyon schimpften viele Autopendler, man lasse sie nicht zur Arbeit fahren; ausländische Touristen wurden, wenn noch nicht hilflos in Staukolonnen verkeilt, per Radio angewiesen, Lyon "großräumig" – teils bis nach Grenoble – zu umfahren. Auch in anderen Teilen Frankreichs kam es zu teilweise gewalttätigen Kommandooperationen. Die Atlantikstadt Nantes wurde von Traktoren ebenso eingesperrt wie etwa die Touristenattraktion Mont Saint-Michel am Ärmelkanal. In der Normandie hielten Bauern Kühlwagen an und verteilten ausländische Fleisch- und Milchprodukte an andere Autofahrer.

Verlust der Milchproduzenten befürchtet

"Wenn nichts getan wird, wird in Frankreich die Hälfte der Milchproduzenten verschwinden", klagte an einer dieser Sperren Michaël Herton, ein junger Landwirt, dessen Betrieb vom Konkurs bedroht ist. Er erklärte, er werde seine Milch heute nur noch unter dem Herstellungspreis los. Verantwortlich sei die ausländische Konkurrenz: Die deutschen Großbauernhöfe mit bis zu 1.000 Kühen produzierten günstiger und überschwemmten die französischen Supermärkte mit ihren Produkten. Den Tierzüchtern gehe es gleich: Ihr Fleisch sei europaweit nicht mehr wettbewerbsfähig, wenn ostdeutsche Schlachthöfe ihren rumänischen und bulgarischen Billiglohnarbeitern nur sieben Euro pro Stunde zahlten. In Frankreich liege der Stundensatz mehr als doppelt so hoch.

Die Preise für Rindfleisch und Milchprodukte sind in Frankreich in den letzten zwei Jahren um mehr als zehn Prozent gefallen. Schuld daran ist auch die zunehmende Konkurrenz aus Holland oder Spanien sowie der Exportstopp nach Russland. Frankreich bleibt zwar die größte Agrarnation der EU und exportiert doppelt so viel Rindfleisch wie Großbritannien, der zweitgrößte Rindfleischproduzent der EU. Beim Schweinefleisch haben Deutschland und Spanien aber Frankreich seit Langem überholt; und heute produzieren deutsche Landwirte sogar mehr Milch als französische.

Bauern verzweifeln

Diese Trendwende lässt nicht nur Frankreichs Bauern verzweifeln. Sie kratzt auch am Selbstverständnis einer Agrarnation, für die Esskultur und Savoir-vivre eng verknüpft sind mit einer natürlichen Produktionsphilosophie fernab von Massentierhaltung und Discount-Methoden. All dies kommt in den geharnischten Bauernprotesten zum Ausdruck. Während Frankreichs Getreidebauern bestens landwirtschaften, sind 25.000 Kleinbauern heute so überschuldet, dass sie kurz vor dem Konkurs stehen. Damit drohen sich weitere Landstriche des flächenmäßig größten EU-Mitglieds zu entvölkern.

Die Regierung in Paris weiß um die Schwere der Situation, hat aber auch keinen Ausweg. Also versuchte sie den aufziehenden Konflikt in der Provinz zuerst schlicht zu ignorieren, was die Rebellen nur noch wütender machte. Nachdem er ihre Einladung dankend abgelehnt hatte, musste Agrarminister Stéphane Le Foll aber am Mittwoch doch nach Caen (Normandie) reisen, was einem Gang nach Canossa gleichkam. Dort kündigte er Nothilfen von 600 Millionen Euro an. Fünf Sechstel davon sind allerdings nur Fristerstreckungen für die Zahlung von Schuldzinsen, Staatsabgaben und Steuern.

Krise ungelöst

Die tieferen Ursachen der Agrarkrise werden dadurch nicht einmal berührt, geschweige denn gelöst. Um darüber hinwegzutäuschen, dass er letztlich keinen Einfluss auf die Preise hat, lancierte Le Foll einen flammenden Appell an die Konsumenten, Fleisch und Milch aus französischer Produktion zu kaufen. Präsident François Hollande traf am Donnerstag in der Burgunderstadt Dijon aufgebrachte Landwirte. Er erinnerte die Großverteiler an ein Abkommen, das sie unter der Schirmherrschaft der Regierung erst vor ein paar Wochen mit den Landwirten geschlossen hatten – und das diesen höhere Margen einräumt.

Bloß importieren die Supermärkte seither lieber billigeres Fleisch aus den Nachbarländern. Die Regierung überlegt sich deshalb, den Schul- und Betriebskantinen die Verwendung von französischem Fleisch vorzuschreiben. Das wäre allerdings purer Protektionismus, der in Brüssel ziemliches Stirnrunzeln bewirken würde. Gut möglich, dass sich die Agrarkrise Frankreichs deshalb bald einmal auf EU-Ebene verlagern wird. (Stefan Brändle, 23.7.2015)