Als im Februar hier von einem Profi das Recco-Lawinenverschüttetensystem erklärt und heftig kritisiert wurde, wiederholten die meisten Kommentare das, was Bergführer und alpine Sicherheitsexperten dem schwedischen Such-System schon seit seiner Erfindung vorwerfen: Solange der Weg des "aktiven" Teils des Verschütteten-Suchsystems zum Einsatzort in der Regel länger dauert, als das "Überlebensfenster" eines Verschütteten in einer Lawine offen ist, vermittelt der auf zahlreichen alpinen (Winter)-Ausrüstungsgegenständen angebrachte Hinweis "Recco inside" trügerische Schein-Sicherheit. Und zwar gerade jenen Menschen, die sich weniger intensiv mit den "Spielregeln" und Gefahren im alpinen Gelände auseinandersetzen.

Foto: Thomas Rottenberg

Diese Schwachstelle des Systems ist natürlich auch den Herstellern bekannt: Der günstig herzustellende und leicht in und an fast jedes Ausrüstungsstück applizierbare Recco-Reflektor reflektiert das Suchsignal nur, wenn das komlpexe, (am Berg) unhandliche und teure Suchgerät in der Nähe ist. Und da dieses Gerät nur professionelle Helfer haben, bleibt die Kernaussage, dass man ohne die Hilfe der Kameraden am Berg verdammt schlechte Karten hat, unbestritten. Das betont man auch bei Recco selbst.

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Nur: Wer sagt eigentlich, dass man am Berg (oder sonstwo) Vermisste immer nur unter Schnee – also unter extremem Zeitdruck – suchen muss? Wäre ein System wie das, das Magnus Granhed nach einem Lawinenunglück am 30. Dezember 1973 im schwedischen Are entwickelte, nicht eigentlich ideal, um in unübersichtlichen Gebieten und auch bei schlechten Sichtverhältnissen, Vermisste rasch und präzise zu orten? Idealerweise gleich aus der Luft? Ja, eh. Aber dafür müsste die Reichweite des Such-Gerätes halt auch größer sein, als bei jenen, mit denen u.a. Bergrettungen und Alpinpolizisten ausrücken.

Detektor im Hubschrauber

Vergangene Woche präsentierten die Schweden auf der Outdoor-Messe in Friedrichshafen (Europas wichtigstem Get Together der Outdoor-Branche, eventuell mit Ausnahme der Münchner ISPO) nun ihr "Ganzjahres Such- und Rettungssystem", den Detektor SAR 1: Ein Detektor, der vom Hubschrauber aus einen etwa 200 Meter breiten Suchstreifen bei Fluggeschwindigkeiten über 130 km/h präzise nach den kleinen Metallstreifen in der Jacke oder im Helm scannen kann. Für einen Quadratkilometer braucht das Gerät angeblich weniger als vier Minuten. Das entspricht einer Fläche von rund 30 Fußballfeldern pro Minute.

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"Das System kann nicht verhindern, dass Unfälle passieren und Menschen vermisst werden, aber es kann dazu beitragen sie schneller zu finden", erklärte RECCO-Vizepräsident Johan Sauer bei der Präsentation – und verwies auf die auch ohne Lawinengefahr oft schweren Bedingungen, mit denen Retter in waldigen, bergigen oder zerklüfteten Gebieten oft konfrontiert sind.

Getestet wurde seit einem Jahr in Schweden, Norwegen und der Schweiz, die Schweizer "Air Zermatt" hat das System ab sofort im Einsatz. Andere Regionen – darunter "selbstverständlich auch der österreichische Alpenraum", sollen so bald wie möglich folgen, erklärte Sauer dem STANDARD. Welche Hubschrauber welcher Organisation wann ausgerüstet werden, sei aber noch nicht geklärt: "In diesem sehr frühen Stadium des Projektes ist es noch nicht entschieden, genau wo die Detektoren stationiert werden sollten. Wir besprechen gerade welche Standorte im jeweiligen Land die rettungsstrategisch Besten sind", so Sauer. Und weiter: "Da dieser Detektor mit dem Hubschrauber zur Einsatzort transportiert werden kann, ist es möglich, mit einer kleineren Anzahl von Detektoren eine Region oder ein ganzes Land abzudecken. Am Anfang würden 2-3 Detektoren ganz Österreich abdecken."

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Auch über Ausbildung und Finanzierung konnte Sauer noch nichts sagen – und wollte sich auch nicht auf Zahlenspiele einlassen: "Laut dem Kuratorium für Alpine Sicherheit werden in Österreich jährlich rund 500 Sucheinsätze nach vermissten Personen durchgeführt. Wie viele von diesen Personen man die auf diese Art retten könnte, kann man nur raten."

Obwohl das System ab Sommer 2016 im Einsatz sein soll, wird es doch einige Jahre dauern, bis hier brauchbare Referenzwerte vorliegen. Schlicht und einfach, weil derzeit kein einziges Nicht-Wintersport-Ausrüstungsstück den Reflektor "inside" hat: Die Frage nach Henne und Ei also. Sauer weiß das: " In diesem frühen Stadium des Projektes arbeiten wir mit einer Handvoll ausgesuchter Marken zusammen, um das Sommer-System auf den Mart zu bringen. Unter anderen sind das Ortovox mit einem Rucksack, Jack Wolfskin und Peak Performance mit Hosen und Jacken, Beal mit Klettergurten, Haglöfs mit Hosen und Schuhen und POC mit Helmen und Jacken. Erste Produkte werden im Frühjahr 2016 auf den Markt kommen."

Freilich: Dass sich Alpinisten schlagartig wegen der kleinen Gummi-Marke mit dem eingearbeiteten Reflektor komplett neu ausstatten, ist wenig wahrscheinlich. Darum gilt: "Ergänzend wird es möglich sein, Reflektoren separat zu kaufen."

Eines, betont man bei Recco, ändere sich aber auch durch das Ganzjahres-Suchsystem nicht: Das beste Rettungssystem kann und will kein "Wir holen Dich da raus"-Garant sein – und soll auch keinen Ersatz für Ausbildung, Planung und realistisches Risikomanagment im Gelände sein. Und die Kameraden kann es auch nicht ersetzen: Die sind nämlich auch da, wenn der Hubschrauber nicht fliegen kann. (Thomas Rottenberg, 26.7.2015)