Das Emoji-Interview

derstandard.at/von usslar

STANDARD: Herr Zotter, Sie beschreiben Ihre Insolvenz im Jahr 1996 als prägende Erfahrung: wieso eigentlich?

Zotter: Lustig war es nicht, aber es war prägend. Damals habe ich nicht gedacht, dass ich jemals darüber reden werde. Aber weil die Kultur des Scheiterns in Österreich nicht sehr verwurzelt ist, möchte ich offen damit umgehen. Es ist ein Meilenstein in meiner Karriere, der sich zum Positiven gewendet hat.

STANDARD: Wann sind Sie zuletzt gescheitert, Herr Schelling?

Schelling: Da gibt es viele Dinge. Wenn man wie Herr Zotter wieder etwas aufbaut, dann zeigt sich, wie wichtig die Kultur des Scheiterns ist. Ich wollte Möbelhäuser kaufen, die nicht gelungen sind. In der Politik waren es Ergebnisse, die ich mir anders vorgestellt habe: Bei der Gesundheitsreform sind wir mit Bomben und Granaten an der Finanzierung aus einer Hand gescheitert.

STANDARD: Haben Sie es bereut, in die Politik zu gehen?

Schelling: Nein. Wenn man sich entschieden hat, muss man das mit Kampfgeist und Emotion angehen. Nach den Belastungen der letzten Wochen ist es mehr, als ich es mir in den schlimmsten Träumen erwartet habe, aber ich bin noch bei guter Kondition.

Josef Zotters Sauerkrautschokolade ruht auf dem Ideenfriedhof. Das gefällt Finanzminister Hans Jörg Schelling.
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STANDARD: Können Sie sich eigentlich vorstellen, in die Politik zu gehen, Herr Zotter?

Zotter: Nein, dafür bin ich nicht geeignet. Da bewundere ich Herrn Schelling. Dauernd nach Kompromissen suchen zu müssen, das wäre für mich undenkbar. Da bin ich lieber Unternehmer, da habe ich bessere Möglichkeiten, meine Vorstellungen umzusetzen.

Schelling: Unternehmer handeln lösungsorientiert. Funktioniert etwas nicht, gibt es andere Wege. In der Politik sind es lange Prozesse. Übertriebene Geduld ist aber auch nicht meine Stärke.

STANDARD: Bei der Asylpolitik ist Ihnen der Geduldsfaden gerissen, Herr Zotter: Sie haben sie kritisiert und Hilfe angeboten. In welcher Form?

Zotter: Ich habe einem Asylwerber bei mir Unterschlupf gegeben und nehme jetzt noch eine Familie auf. Das ist etwas, was ich selber tun kann. Das ist aber nicht die Lösung, wenn 60.000 Menschen vor den Toren Österreichs stehen. Asyl ist ein Menschenrecht: Es ist indiskutabel, dass man darüber überhaupt diskutieren muss. Ich verstehe nicht, dass man das in Österreich nicht schafft. Wenn wir uns das nicht leisten können, weiß ich auch nicht mehr weiter.

Schelling: Wir stocken die Finanzierung fast auf das Doppelte auf, um die Grundversorgung sicherzustellen. Das ist budgetär eine echte Herausforderung. Aber die Menschen haben Sorgen, die noch zusätzlich geschürt werden. Auch wenn es nicht stimmt, werden Flüchtlinge als Gefahrenpotenzial dargestellt. Trotzdem brauchen wir eine europäische Solidarität. Österreich wird sonst zum Zielland Nummer eins, weil wir eine gute Versorgung haben. Wir müssen aber auch die Kompetenzfragen klären. Die Frau Innenministerin wird für etwas kritisiert, für das sie nicht verantwortlich ist. Die Unterbringung wird auf kommunaler Ebene geregelt. Humanitäre Problemstellungen sollen besser zentral entschieden werden. Containerdörfer zu errichten ist politisch schwieriger, als eine Wohnung zur Verfügung zu stellen.

Zotter: Aber auch das ist schwierig, weil ich auf viele Widerstände und bürokratische Hürden gestoßen bin. Dabei reden wir von humanitärer Hilfe. Es wären sehr viele Österreicher bereit, etwas zu tun, vielleicht braucht man dann keine Zeltstädte.

Schelling: Zum Teil waren ja Quartierangebote da, wo aber die örtlichen Bürgermeister keine Genehmigung erteilt haben. Deswegen muss es die Möglichkeit geben, dass dann Entscheidungen schnell gefällt werden und die Kompetenzen sauber geordnet werden. Das Thema wird uns in den nächsten Jahren nicht loslassen. Wir müssen Voraussetzungen schaffen, dass es endlich funktioniert.

"Ich mache meine Produkte nicht schiacher, als sie sind, aber auch nicht schöner", sagt Josef Zotter
Der Standard/Newald

STANDARD: Zurück zur Wirtschaft: Sie sprechen sich gegen Werbung aus. Was ist schlecht daran?

Zotter: Der Markt ist dumm. Wenn Österreich stagniert, hängt das damit zusammen, dass wir zu stark darauf schauen, was die anderen machen. Österreich hat an Kraft verloren. Wir brauchen Innovationen. Wenn man den Markt fragt, ob er Blutschokolade will, dann sagt er "brauch ich nicht". Trotzdem gibt es Produkte, wie Schweinegrammelschokolade, die vor zehn Jahren keiner wollte, aber heute zu den meistverkauften Produkten zählt. Man muss das machen, was man für richtig hält. Ich hab mir noch nie Verkaufszahlen angeschaut, das überlasse ich meinen Mitarbeitern.

STANDARD: Aber Sie wissen, dass die Schweinegrammelschokolade gut geht.

Zotter: Das spüre ich, ich sehe, was produziert wird.

STANDARD: Wie sehen Sie das, Herr Schelling. Sie gelten als Marketingexperte.

Schelling: Das kommt auf das Produkt an und darauf, was ich dabei riskiere. Ein Chiphersteller hat andere Voraussetzungen als eine Schokoladenmanufaktur. Wenn ich eine neue Schokolade entwickle, die nicht funktioniert, kostet es ein paar Hundert Euro. In der Hochtechnologie ist der Forschungsaufwand anders. Herr Zotter macht es wie die Amerikaner: trial and error. Bei ihm gibt es einen Ideenfriedhof, wo die Sauerkrautschokolade ruht.

Zotter: Die war ja auch wirklich grauslich.

Schelling: Das ist Mut. Sie verabschieden sich von Dingen, die nicht funktionieren. Aber die Vermischung aus Produkt und Erlebnis ist schon lebendes Marketing.

Zotter: Ich kenn mich da gar nicht aus, ich hab das nie gelernt. Ich rede einfach mit den Leuten. Weil sich so viele Leute dafür interessieren, habe ich versucht, meine Ideen umzusetzen.

STANDARD: Lässt sich Ihre Strategie auf alle Betriebe umlegen?

Zotter: Um die Wirtschaft wieder in Fahrt zu bekommen, müssen wir uns damit beschäftigen, wie viel Wachstum wir überhaupt brauchen. Es muss Erneuerung geben, aber kein Wachstum. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie es funktioniert, wenn es gar kein Wachstum gibt.

"Der Staat ist ein bewegungsloser Koloss, das hemmt bei Entscheidungen. Er muss flexibler werden", sagt Finanzminister Hans Jörg Schelling.
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STANDARD: Sie sind in einer bequemen Position, Ihre Firma wächst ständig. Würde das funktionieren?

Zotter: Sicher. Ich mach ja keine Werbung. Ich mache meine Produkte nicht schiacher, als sie sind, aber auch nicht schöner. Wenn es Nachfrage gibt, werde ich sie bedienen. Aber wir erzeugen keine künstliche Nachfrage.

STANDARD: Können Sie die Kritik teilen, Herr Schelling?

Schelling: In einem Hochlohnland wie Österreich kann man den Preiswettbewerb nicht gewinnen, das geht nur bei Qualität und Innovation. Daher müssen wir Bildung fördern. Budgetär betrachtet verbrauchen aber wir zu viel Geld für Vergangenheitsinvestitionen, nicht für die Zukunft, weil unsere Systeme zu teuer sind.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Schelling: Hätte man vor zehn Jahren das Gesundheitssystem reformiert, hätte man ein paar Milliarden dabei gespart. Ähnliches gilt bei den Pensionen. Der Staat ist ein bewegungsloser Koloss, das hemmt uns bei Entscheidungen. Er muss flexibler und schlanker werden. Ein Unternehmen, das kein Wachstum oder auch einmal ein Minus hat, kann und muss schnell reagieren.

Zotter: Wir müssen auch ein Feuer entwickeln, damit junge Leute wieder Unternehmer werden wollen. Das ist in den USA anders, das taugt mir auch an Silicon Valley, aber wir müssen uns ja nicht alle auf die IT schmeißen.

Schelling: Als Staat müssen wir helfen, Innovation zu fördern.

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STANDARD: Das wirtschaftliche Klima ist angeschlagen. Wie kann es verbessert werden?

Schelling: Österreich ist trotz allem ein extrem erfolgreiches Land. 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden durch Export und Tourismus erwirtschaftet. Wir sind gut aufgestellt, aber es könnte besser sein. Derzeit gibt es wenig Bereitschaft zu investieren. Unternehmer müssen vorsorgen und planen. Bei uns hat es früher immer geheißen: "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not."

Zotter: Das ist natürlich ein super Satz für einen Finanzminister. Aber auch ich traue mich dieses Jahr nicht so zu investieren wie in den vergangenen Jahren, weil so eine komische Stimmung ist. Diese zwei, drei Millionen sind dadurch nicht in der Wirtschaft. Und ich bin nur ein kleines Unternehmen, aber multiplizieren Sie das. Ich frage mich, ob das nicht auch an unserem Steuersystem liegt, das die Arbeitskraft derart hoch besteuert. Das fördert eher Arbeitslosigkeit. Ich träume ja von einer Konsumsteuer.

STANDARD: Es ist ungewöhnlich, dass ein Unternehmer für eine neue Steuer ist.

Zotter: Sobald ein Betrieb ein Problem bekommt, beginnt er auszulagern. Wenn aber die Lohnnebenkosten entlastet werden und stattdessen eine Konsumsteuer eingeführt wird, dann werden Importe automatisch teurer. Wir sollen ja ein Hochlohnland bleiben. Es ist einfach, Arbeitnehmer zu besteuern, aber es geht weiter darum, Ausbeutung und Auslagerung zu verhindern.

Schelling: Das kann man nicht isoliert betrachten. Dazu müsste man das ganze Steuersystem auf null stellen. Hinter unserem System steht ein Sozialstaat, den wir damit finanzieren. Aber ich bin bei Ihnen, nicht nur den Faktor Arbeit anzuschauen, sondern auch die Lohnstückkosten. Es ist auch deshalb schwer, Arbeitskräfte zu finden, weil das Arbeitsloseneinkommen fast genauso hoch ist wie das Arbeitseinkommen. In Deutschland gibt mit Hartz IV ein Modell, das offenbar besser funktioniert.

Zotter: Lustig ist das aber nicht.

STANDARD: Warum sind Sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen, Herr Zotter?

Zotter: Dann haben die Leute einfach einmal eine Ruhe und bekommen ihre Freiheit zurück. Dadurch können Innovationen losgetreten werden. Die Menschen haben große Existenzängste. Ein Arbeitsplatz ist eben immer Arbeit. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde auch das Pensionsthema lösen. Dann müssten wir nicht mehr darüber reden, ob jemand mit 62 oder mit 65 Jahren in Pension geht.

STANDARD: Können Sie dem etwas abgewinnen, Herr Schelling?

Schelling: Selbstverständlich bin ich dagegen. Die meisten Österreicher sind hochzufrieden mit ihren Arbeitsplätzen. Leistung muss belohnt werden, das ist nichts, was einem zusteht. Wir sind bei Transferleistungen sehr stark. Aber warum muss jemand, der 500.000 Euro im Jahr verdient, Anspruch auf eine Gratiszahnspange für sein Kind haben? Das hätte man sozial staffeln müssen. Wir haben uns zu einer Neidgesellschaft entwickelt. Neid muss man sich aber verdienen, Mitleid bekommt man umsonst. (Marie-Theres Egyed, 25.7.2015)