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Nach der Schlacht: Im Istanbuler Gazi-Viertel gab es am Sonntag Krawalle mit Linksgerichteten. Ein Polizist wurde erschossen.

Foto: REUTERS/Kemal Aslan

Ankara/Athen – Der Eintritt in den Krieg gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) könnte der türkischen Regierung bringen, was sie seit Jahren international fordert: eine Pufferzone in Syrien an der Grenze zur Türkei. Türkische Regierungsvertreter, allen voran Premierminister Ahmet Davutoglu und Außenminister Mevlüt Çavusoglu, haben indirekt die Schaffung einer solchen Zone beschrieben, aus der Kämpfer des IS durch Militärschläge vertrieben würden. Offen bleibt aber, wie diese Zone militärisch gesichert würde.

"Es wird keinen Platz für Daes nahe der türkischen Grenze geben", erklärte Davutoglu türkischen Journalisten gegenüber; Daes ist die in der Türkei gebräuchliche arabische Abkürzung für den IS. Der Premier schloss gleichzeitig erneut den Einsatz türkischer Bodentruppen in Syrien aus. Die Türkei schließe sich aktiv den Kämpfen der internationalen Koalition gegen den IS an, erklärte auch Außenminister Çavusoglu. Syrische Flüchtlinge, die jetzt noch in der Türkei lebten, würden von selbst in ein sicheres Gebiet zurückkehren.

Nato berät sich am Dienstag

Türkische Kommentatoren glauben, Ankara wolle den letzten, knapp 90 Kilometer langen Abschnitt an der Grenze, der noch vom IS kontrolliert wird, an die Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA) übergeben. Die Nato befasst sich heute, Dienstag, auf Antrag der Türkei mit der Lage in Syrien.

Der Istanbuler Thinktank EDAM sieht – wie viele andere Militärexperten – die Organisation einer Pufferzone als äußerst schwierig an. Militärisch könnte die türkische Armee durch Bombardements aus der Luft und durch den Einsatz einer bestimmten, 40 Kilometer tief reichenden Artilleriehaubitze die Stellungen des IS in dem Korridor von Jarabblus bis Azaz ausschalten, heißt es in einer Anfang des Monats veröffentlichten Studie. Eine Pufferzone zum Schutz der Bevölkerung würde aber Bodentruppen erfordern – zwei Brigaden, die in Gaziantep und Sanliurfa stationiert sind. Doch dieses Szenario schließt die Regierung aus.

Bombenwarnungen

Die sicherheitspolitische Kehrtwende der Regierung, der lange vorgeworfen wurde, den IS in Syrien zu tolerieren, spürten die Türken zu Wochenbeginn nun konkret. In Istanbul warnten die Polizeibehörden vor Anschlägen in der U-Bahn. Nach fünf Fahrzeugen mit Sprengsätzen, die in der Stadt zirkulieren, würde gefahndet, meldeten die Medien. Öffentliche Plätze wie der Taksim sollten gemieden werden. In Izmir brach auf dem Konak-Platz, einem zentralen Platz der Innenstadt, Panik aus, weil die Polizei Bombenalarm gab.

Spannungen zwischen der kurdischen Bevölkerung und den Sicherheitskräften hielten in mehreren Städten im Südosten an, aber auch in manchen Istanbuler Vierteln; in Gazi, auf der europäischen Seite, war am Sonntag ein weiterer Polizist bei Zusammenstößen mit linksgerichteten Aktivisten auf der Straße erschossen worden.

Panzerangriff auf Kurden

Die türkische Regierung dementierte am Montag zunächst Berichte, wonach die Armee erstmals auch ein Dorf in Syrien angriff, das von Milizen der kurdischen Partei PYD kontrolliert wird. Vier Kämpfer wurden durch den Artilleriebeschuss verletzt, meldeten die Kurden. Ankara schien den Vorfall trotz des Dementis aber weiter zu untersuchen.

Innenpolitisch hat sich das Klima seit dem Beginn der Militäraktionen sowohl gegen den IS als gegen die kurdische Untergrundarmee PKK im Nordirak vergangene Woche erheblich verschärft. Die kurdisch dominierte Linkspartei HDP von Selahattin Demirtas warf Staatschef Tayyip Erdogan Kriegstreiberei vor. Eine Vielzahl politischer Kommentatoren ist sich einig, dass Erdogan mit den Angriffen auf die PKK und Schuldzuweisungen an die HDP einen politischen Vorteil bei möglichen Neuwahlen im November suchen will. Die Militäroffensive gegen die kurdische PKK will die türkische Armee indessen bis zu deren Waffenniederlegung fortsetzen, so Davutoglu am Montagabend im Fernsehsender ATV. (Markus Bernath, 27.7.2015)