Finanzminister Schelling sorgte mit einem STANDARD-Interview am Wochenende für Aufregung.

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Wien – Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) rückt in der Diskussion über die Arbeitslosenunterstützung nun die Zumutbarkeitsgrenzen in den Vordergrund. Er habe nie gefordert, das Arbeitslosengeld zu kürzen, betonte er am Montag in der ZiB2. Vielmehr gelte es, alle Instrumente der Arbeitsmarktpolitik zu überprüfen, auch die Frage: "Welche Beschäftigung ist zumutbar?"

Schelling hatte am Wochenende im STANDARD-Interview mit der Aussage für Aufregung gesorgt, dass es unter anderem deshalb so viele Arbeitslose gebe, weil der Unterschied zwischen deren Einkünften und einem Erwerbseinkommen zu gering sei. Am Montag betonte er, es gehe ihm weder darum, das Arbeitslosengeld zu kürzen, noch die Mindestsicherung. Er bezweifle aber, dass die "Anreize" für Erwerbslose, wieder einen Job anzunehmen, groß genug seien.

Änderung bei Entfernung zum Heimatort

Als Beispiel nannte er österreichische Tourismusgebiete, in denen viele Deutsche arbeiteten – vielen Österreichern dagegen würden solche Jobs wegen der geografischen Entfernung zum Heimatort nicht zugemutet. Hier möchte der Finanzminister über Änderungen diskutieren und auch flexiblere Modelle andenken.

Er brachte etwa auch einen Kombinationstarif mit bestimmten Zuschüssen ins Spiel. Denn nicht alle Maßnahmen im Arbeitsmarktbereich seien zielführend, hielt er an seiner grundsätzlichen Kritik fest. Schließlich würden die Arbeitslosenzahlen derzeit trotz Rekordbeschäftigung steigen, argumentierte Schelling.

Hundstorfer: Das löst kein Problem

Sozialminister Rudolf Hundstorfer glaubt nicht, dass man mit laufendem "Drehen" an Details die Krise lösen könne. Man justiere laufend nach, das "löst aber kein wirkliches Problem", meint man im Ministerium. Das bestehe nämlich im schwachen Wirtschaftswachstum und der mangelhaften Qualifikation der Arbeitssuchenden. Rund die Hälfte von ihnen nämlich habe keinen höheren Abschluss als die Pflichtschule vorzuweisen.

Die Frage, welche Jobs Arbeitslosen noch zumutbar seien, werde laufend diskutiert, und was die von Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) konkret angesprochene maximal zumutbare Wegzeit von zwei Stunden zum Arbeitsplatz betrifft, sagt Hundstorfers Sprecher: Schon jetzt würden bis zu 2,5 Stunden gelten.

Im Gesetz stehen zwar maximal zwei Stunden an zumutbarer Hin- und Rückfahrt, doch sind in bestimmten Fällen auch längere Wegzeiten möglich, etwa, wenn es einen Betriebskindergarten gibt oder wenn längere Wegzeiten am Wohnort des Betroffenen üblich sind, verweist man im Ministerium auf die geltende Rechtslage. Und auch eine Beschäftigung außerhalb des Wohnortes sei zumutbar, wenn etwa am Arbeitsplatz eine Unterkunft bereitsteht.

Dass sich auch die Bezahlung je nach Zumutbarkeit ändern soll, werde der SPÖ-Minister nicht akzeptieren, hieß es weiters. Eine "Unterentlohnung" komme nicht in Frage.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid kritisierte am Dienstag in einer Aussendung das "Schlechtreden von Arbeitslosengeld und Mindestsicherung". Die ÖVP führe hier eine "unwürdige Neiddebatte", was "Menschen in Notsituationen" verunsichere.

Die Zumutbarkeitsregeln im Detail:

WEGZEITEN

Bisher gilt eine Vollzeit-Stelle nicht als zumutbar, wenn die tägliche Wegzeit hin und zurück mehr als zwei Stunden beträgt. Bei einer Teilzeit-Stelle dürfen es nur eineinhalb Stunden sein. Schon jetzt gibt es aber Ausnahmen, zum Beispiel, wenn der Heimatort in einer Pendlerregion liegt oder der Betreffende dafür besonders günstige Arbeitsbedingungen bekommt. Außerdem ist eine weit entfernte Stelle zumutbar, wenn eine Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung gestellt wird.

ENTLOHNUNG

Damit eine Stelle als zumutbar gilt, muss der angebotene Lohn mindestens dem geltenden Kollektivvertrag entsprechen. Außerdem darf er in den ersten 120 Tagen des Arbeitslosengeldbezugs nicht niedriger sein als 80 Prozent, danach nicht niedriger als 75 Prozent der Bemessungsgrundlage, auf deren Basis die Höhe des Arbeitslosengelds berechnet wurde.

BETREUUNGSPFLICHTEN

Eine zumutbare Stelle muss es grundsätzlich ermöglichen, den gesetzlichen Betreuungspflichten nachzukommen. Man muss aber mindestens 20 Stunden zur Verfügung stehen. Ist das Kind jünger als zehn Jahre oder behindert, reicht es, wenn man 16 Stunden zur Verfügung steht.

BISHERIGER BERUF

Das AMS versucht, erwerbslosen Menschen eine Stelle in dem Berufsfeld zu vermitteln, in dem sie bisher gearbeitet haben. In den ersten 100 Tagen des Bezugs von Arbeitslosengeld gilt eine Stelle außerhalb des bisherigen Tätigkeitsbereichs nur dann als zumutbar, wenn dadurch eine Rückkehr in den bisherigen Beruf nicht "wesentlich erschwert" wird.

WIEDEREINSTELLUNGSZUSAGE

Bei der Vermittlung einer neuen Arbeitsstelle wird ausdrücklich nicht darauf Rücksicht genommen, ob die erwerbslose Person eine Einstellungszusage ihrer alten oder einer anderen Firma hat. Wenn sie aus diesem Grund aus einem Wiedereinstellungsvertrag aussteigen müssen, sind Erwerbslose gesetzlich von allen Nachteilen entbunden. Sie müssen keinen Schaden ersetzen, der dem Betrieb durch die Nichterfüllung der Vereinbarung entsteht. Wenn sie wegen der Wiedereinstellungsvereinbarung auf Ansprüche aus dem früheren Arbeitsverhältnis verzichtet haben, können sie die wieder einfordern.

GESUNDHEIT

Eine Beschäftigung ist nur dann zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der Person angemessen ist und ihre "Gesundheit und Sittlichkeit" nicht gefährdet.

Außerdem kann kein Betrieb zugewiesen werden, in dem gerade gestreikt wird.

(APA, 27.7.2015)